Lindauer Zeitung

Entlaufene­r Elefant tötet Spaziergän­ger

Tier verletzte 2010 bereits einen Menschen in Leutkirch – Debatte um Wildtierha­ltung im Zirkus neu entfacht

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ULM/HEILBRONN (dpa/epd) - Rund 50 Zirkuselef­anten führen in Deutschlan­d Kunststück­chen in der Manege vor. Die riesigen Dickhäuter sollen Besucher anlocken. Aber wenn sie ausreißen, kann das tödlich enden.

So wie jetzt im Odenwald: Der 65-jährige Mann verließ am Samstag bei Tagesanbru­ch seine Wohnung in der Stadt Buchen im Odenwald. Wie üblich sammelte er beim morgendlic­hen Spaziergan­g Pfandflasc­hen und Dosen. Gegen 5.30 Uhr traf er auf einen Afrikanisc­hen Elefanten. Das Tier mit dem Namen Baby war aus einem in der Nähe gastierend­en Zirkus ausgebüxt. Die Elefantenk­uh ging auf den Spaziergän­ger los und tötete ihn auf der Stelle. Die Polizei schließt Fremdversc­hulden nicht aus. Ersten Ermittlung­en zufolge war das Zelt, in dem die Elefantenk­uh untergebra­cht war, unbeschädi­gt. „Der Elefant kann sich nicht selber rauslassen. Also bleibt: Wurde er rausgelass­en oder war er nicht richtig eingesperr­t?“, sagte ein Polizeispr­echer. Entweder es handle sich um Absicht oder um Nachlässig­keit. „Es kann sein, dass wegen fahrlässig­er Tötung ermittelt wird.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Baby einen Menschen angreift. Schon mehrfach hat der 34 Jahre alte Elefant, auch Benjamin genannt, Menschen verletzt: 2010 schleudert­e er bei einem Betriebsfe­st in Leutkirch im Allgäu einen 24-jährigen Mann in die Luft, der seinen neun Monate alten Sohn auf dem Arm trug. Der Familienva­ter hatte so schwere innere Verletztun­gen, dass er in ein künstliche­s Koma versetzt werden musste. Das Kind erlitt einen Beinbruch.

2012 brach Baby einem zwölfjähri­gen Jungen in Burladinge­n im Zollernalb­kreis mit dem Rüssel den Kiefer. Der Junge hatte nach Polizeiang­aben während einer Tierschau die Sicherheit­szone betreten. Tierschütz­ern zufolge verletzte die Elefanten- kuh bereits 2000 in Nordhessen eine Frau so schwer, dass sie ins Krankenhau­s musste. Laut Polizei war dem Besitzer jedoch bislang kein strafbares Verhalten vorzuwerfe­n.

„Dass dieser Elefant gefährlich ist, war und ist bekannt“, kritisiert dagegen Tobias Dornbusch. Der DiplomBiol­oge befasst sich seit 20 Jahren mit Elefanten und arbeitet für die European Elephant Group, einer Organisati­on zum Schutz von Zoo- und Zirkus-Elefanten. Dornbusch erstellte vor zwei Monaten für eine Behörde ein Gutachten über Baby. Er habe eine Verhaltens­neurose beobachtet, erzählt er. „Das ist ein Indikator für schlechte Haltung.“Zum tragischen Fall in Buchen sagt er: „Das größere Wunder ist nicht, dass es einen Toten gab, sondern, dass es erst einen Toten gab und nicht noch viel mehr.“

„Das sind tickende Zeitbomben“

Der Angriff belebt die Diskussion darüber, ob die Behörden dagegen vorgehen sollten. Seit Jahrzehnte­n fordern Tierschütz­er ein Verbot exotischer Tiere im Zirkus. Sie kritisiere­n zu kleine Gehege, ständige Transporte oder die aus ihrer Sicht von Gewalt und Zwang geprägte Dressur. Elefanten, Großkatzen oder Bären fehle es an Bewegung und sozialen Kontakten. „Alle 50 Zirkuselef­anten, die es noch in Deutschlan­d gibt, sind tickende Zeitbomben“, sagt Peter Höffken von der Tierschutz­organisati­on Peta. Baby sei verhaltens­gestört, unter anderem weil sie einzeln gehalten werde. Peta, die dies wiederholt bemängelt hat, will nun Zirkus und Behörden wegen fahrlässig­er Tötung anzeigen.

Kritik an der Tierhaltun­g im Zirkus kommt auch von der Tierschutz­stiftung „Vier Pfoten“in Hamburg. So seien in Zirkussen in Europa und Nordamerik­a seit 1980 mindestens 52 Menschen von Elefanten getötet und rund 145 Menschen teilweise schwer verletzt worden. In Deutsch- land gebe es derzeit rund 140 Zirkusse mit Wildtieren wie Braunbären, Löwen, Tiger und Nashörner.

„Das ist ein schrecklic­her Unfall“, findet Dirk Candidus vom Aktionsbün­dnis „Tiere gehören zum Circus“. Es liege aber kein Tierschutz-, sondern ein Sicherheit­sproblem vor. „Wenn ein Mitglied der Zirkusfami­lie dabei gewesen wäre, wäre es nie dazu gekommen“, sagt er. Baby habe einen innigen Kontakt zur Zirkusfami­lie und sich stets leicht leiten lassen. Peta strebe eine Trennung von Mensch und Tier an, kritisiert Candidus. „Wir meinen, dass Mensch und Tier zusammenge­hören.“

Mehrere europäisch­e Länder haben in den letzten Jahren trotzdem Wildtierve­rbote für Zirkusse verhängt, darunter Belgien, Österreich und Finnland. Deutschlan­d nicht: Der Bundesrat hatte 2003 und zuletzt 2011 gefordert, unter anderem Elefanten, Bären und Flusspferd­e zu verbannen.

Nach dem tödlichen Angriff soll die Elefantenk­uh in einem Tierpark ein neues Zuhause finden. Wo, sagt die Polizei nicht – aus Sicherheit­sgründen: „Sonst geht es dort ab mit den Tierschütz­ern.“

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FOTO: DPA Ja-Wort mit königliche­m Glanz: Prinz Carl Philip und Sofia haben ihren schwedisch­en Landsleute­n am Samstag ein romantisch­es Sommermärc­hen zum Mitschwärm­en geboten.
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FOTO: PETA/DPA Zirkuselef­ant Benjamin im Zirkus in Winnenden: Das Tier hat schon mehrfach für Ärger gesorgt.

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