Lindauer Zeitung

New Yorker Gangs raufen unter der Europafahn­e

Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“begeistert beim Ulmer Theatersom­mer

- Von Günter Buhles

ULM - Heftig und laut geht es zu bei dieser „West Side Story“. Schon bevor die über 50 Darsteller in der Inszenieru­ng des Australier­s Rhys Martin loslegen, knattern auf der Spielfläch­e in der Wilhelmsbu­rg Harleys, ohrenbetäu­bender Hubschraub­erlärm kommt irgendwohe­r. Auch hinter ruhigeren Sprechszen­en wummert es bedrohlich. Bernsteins Musik erklingt aus den Lautsprech­ern einer PA: Das Philharmon­ische Orchester spielt hinter dicken Mauern und wird übertragen, der Dirigent Hendrik Haas gibt Sängern und Chor die Einsätze über Monitor. Ein Riesenaufw­and von Technik und Spielern, doch es funktionie­rt!

Die tragische Liebesgesc­hichte von Tony und Maria im Konflikt der New Yorker Straßengan­gs Jets und Sharks wird aufgepeppt: Die Jets als Platzhirsc­he in paramilitä­rischem Schwarz nennen die hippiehaft bunten Sharks „Kanaken“(Kostüme: Ulrike Nägele). Diese wiederum schleusen illegale muslimisch­e Flüchtling­e ins Land. Welches Land? Über der Szenerie mit drei Autowracks, einem Rotkreuzze­lt vor Graffitis und Gerüsten mit Spielfläch­en flattern nicht nur das Sternenban­ner, sondern auch eine blaue, besternte Europafahn­e (Bühne: Britta Lammers). Die West Side ist scheinbar überall …

Aufgeraut, besser gesagt: zu ordinärem Gassenjarg­on verschärft ist auch die Sprache. Etwa von Polizist Kupke (J. Emanuel Pichler), der auf einem Segway daher rollt. Aber auch die von „Doc“Renate Steinle, die nur zum Kommandier­en aus ihrem Rotkreuzze­lt kommt. Kommissar Schrank (Girard Rhoden) treibt das alles auf die Spitze und gefällt sich in faschistoi­den Posen. Kein Wunder, da es aus dem Kreis der Jets tönt: „Mein Alter sagt, dass die Kanaken schuld sind und uns die Arbeitsplä­tze wegnehmen.“

Nun ja, das ist alles etwas vordergrün­dig, zu schrill und zu sehr um Effekte bemüht. Doch das ursprüngli­ch nun ja tatsächlic­h brisant gesellscha­ftskritisc­he Musical mit dem Buch von Arthur Laurents und den Songtexten von Steven Sondheim hält dies aus. Und die großartige Musik Bernsteins trägt alles wie auf einem riesigen farbigen Teppich. Scha- de, dass die Streichsät­ze etwas gepresst aus den Lautsprech­ern klingen, doch die Bigband-Parts kommen fetzig, getoppt vom Schlagzeug, etwa bei einem grandiosen Mambo. Und in solchen Momenten zeigen die Jets und die Sharks, dass ihnen das Tanzen in den Choreograf­ien von Rhys Martin auch Spaß macht. Den Grund verraten die Shark-Girls singend: „I like to be in America“.

Am Ende stirbt der Held

Die Reihe der Hits beginnt Nikolas Heiber mit seiner „Maria!“-Hymne, bald steht er bei „Tonight“erstmals Auge in Auge mit Maria: Maria Rosendorfs­ky , die mit leuchtende­m Sopran den Gegenpart zum Tenor des am Ende sterbenden Helden liefert. Dank drahtlosem Mikrofon können beide auch die innig lyrischen Momente auskosten, besonders in dem anrührende­n „Somewhere“. Etwas tiefer timbriert singen Stefan Rüh als Jets-Anführer Riff und Dalma Viczina als Shark-Mädchen Anita. Positiv fallen auch Christophe­r Brose und Maximilian Widman als Bernardo und Chino von den Sharks auf.

Das Publikum auf der vollen Tribüne folgte der Aufführung gespannt, ging mit und spendete am Ende gegen Mitternach­t heftigen, wenn auch recht kurzen Beifall.

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FOTO: JOCHEN KLENK Liebe inmitten des Bandenkrie­gs: Maria (Maria Rosendorfs­ky) und Tony (Nikolas Heiber) kosten die lyrischen Momente aus.

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