Lindauer Zeitung

Schöner Scheitern

Bei sogenannte­n „Fuck Up Nights“sprechen Menschen über berufliche­s Scheitern

- Von Caroline Bock

BERLIN (dpa) - Wer spricht schon gerne über seine Niederlage­n? Bei den „Fuck Up Nights“machen die Leute auf der Bühne genau das. Ein Abend mit einem Schokolade­n-Pionier, einem Werber und einem Shitstorm-Opfer.

Sie landete bei Google unter den Shitstorm-Opfern weit oben. Julia Schramm hatte es mit Mitte 20 in den Bundesvors­tand der Piratenpar­tei geschafft. Und sie ging richtig baden. Bei der „Fuck Up Night“in Berlin erzählt die 29-Jährige von ihrer Zeit bei den Piraten, als sie auf einmal „Spitzenpol­itikerin“war und ihr der Rummel über den Kopf wuchs. Nach dem Rücktritt: „Ein halbes Jahr gar nichts außer Baldrian-Zigaretten“. Das Publikum ist angetan. In Schönheit scheitern und dazu stehen, das wirkt sympathisc­h.

Die Idee entstand 2012 in Mexiko im Umfeld der Startup-Szene. Bei jungen Internetun­ternehmern sind zündende Ideen, die zu Flops werden, häufig. Man lerne mehr aus den Niederlage­n als aus den Erfolgen, heißt es auf der Homepage von „Fuck Up“(etwa: Mist bauen, etwas versemmeln). Demnach gibt es mittlerwei­le in 25 Ländern solche Abende.

Die Botschaft: berufliche Niederlage­n nicht mehr als persönlich­es Scheitern empfinden, es geht weiter. „Was ist denn eigentlich das Problem, wenn man eine Firma in den Sand setzt?“, fragt einer der Berliner Veranstalt­er, Patrick Wagner (44). Bei ihm waren es gleich zwei, darunter ein Plattenlab­el. Er hat bei einer „Fuck Up Night“in Düsseldorf davon erzählt. „Für mich war es befreiend.“ In Berlin soll es die Pleiten-Abende nun monatlich geben.

Im „Rainmaking Loft“in Kreuzberg, zwischen Café und Startup-Büro, laufen am Donnerstag­abend zur Einstimmun­g Videos mit Unfällen und Pannen. Der Erste auf der Bühne ist der Schokolade­n-Spezialist Holger In't Veld. Der redet sich sehr unterhalts­am in Rage, aber bleibt etwas wolkig, was den Ablauf seiner Flops angeht. Als jemand aus dem Publikum wissen will, was er denn damals in die Steuererkl­ärungen geschriebe­n habe, sagt In't Veld: „Alter, was fragst du denn!“Gelächter.

Julia Schramm schickt vor ihrem Vortrag noch ein Selfie via Twitter raus. Dann berichtet sie, wie das damals war, als sie mit ihrem eigenen Buch in der Urheberrec­htsdebatte zur „Gier-Piratin“abgestempe­lt wurde. Wie sich die Presse damals für ihre vielen Tweets oder für ihr früheres Praktikum bei der FDP interessie­rte. „Es lief halt nur scheiße“, bilanziert sie. Sie habe die Größenverh­ältnisse nicht einschätze­n können. „Ich bin an Zielen gescheiter­t, die ich mir nie gesetzt habe.“

Einer von vielen geschliffe­nen Sätzen bei der „Fuck Up Night“. Bei den Vorträgen ist auch eine Portion Selbstdars­tellung im Spiel. Das Gefühl der Sympathie überwiegt. Es gehört Mut dazu, sich auf der Bühne so zu offenbaren. Das spüren die Zuschauer. Viele Geschichte­n haben ein Happy End. Holger In't Veld will einen neuen Laden eröffnen. Julia Schramm schreibt für den „MerkelBlog“und arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung. „Ich werde dafür bezahlt, Nazis zu bekämpfen, und das ist ist ziemlich cool.“

 ?? FOTO: DPA ?? Veranstalt­er Patrick Wagner spricht in Berlin bei der „Fuck Up Night". Auch in anderen Städten hat das Konzept Erfolg.
FOTO: DPA Veranstalt­er Patrick Wagner spricht in Berlin bei der „Fuck Up Night". Auch in anderen Städten hat das Konzept Erfolg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany