Lindauer Zeitung

Seltene Einmütigke­it im Bundestag

Flüchtling­spolitik wichtigste­s Thema bei der Generaldeb­atte – Kanzlerin Merkel mahnt europäisch­e Lösung an

- Von Erika Bader und Andreas Herholz

BERLIN - Normalerwe­ise ist dies die Stunde der Opposition, die Gelegenhei­t, mit der Regierungs­politik abzurechne­n. An Mittwoch war es anders: Unter dem Eindruck der Bilder von Menschen auf der Flucht blieben die Angriffe auf die Große Koalition aus. Von links bis rechts, von den Linken bis hin zu den Christsozi­alen war man sich einig, dass der eingeschla­gene Kurs der richtige ist.

Zunächst schien es fast so, als wollte Angela Merkel (CDU) in der Haushaltsd­ebatte die Flüchtling­sfrage unter den Tisch fallen lassen. Eine halbe Stunde Redezeit hatte die Kanzlerin. Dem zentralen Thema räumte sie nur einen Bruchteil davon ein.

Breitbandv­erbindunge­n bis 2018 auch in ländlichen Regionen, ein prognostiz­iertes Wirtschaft­swachs- tum von 1,8 Prozent oder das Inkrafttre­ten des Pflegestär­kungsgeset­zes nach mehr als zehnjährig­er Diskussion im Parlament – Merkel ließ sich Zeit für all die Dinge, die zwar auch wichtig, aber nicht akut sind. Der großen Frage, wie mit den Flüchtling­en umgegangen werden soll und welche Herausford­erungen damit verbunden sind, stellte sich Merkel erst zum Schluss.

„Wenn wir außenpolit­isch nichts machen, hat das Konsequenz­en für die Innenpolit­ik“, sagte die Kanzlerin. Die Konflikte vor Europas Toren haben jetzt auch Deutschlan­d er- reicht. 800 000 Flüchtling­e bis zum Jahresende sind prognostiz­iert. Viele von ihnen werden Deutschlan­d nicht wieder verlassen. Die Erfahrung mit den Gastarbeit­ern in den 1960er-Jahren soll als mahnendes Beispiel herhalten. Sprachunte­rricht, Ausbildung und Integratio­n – das dürfe man bei den ankommende­n Menschen nicht versäumen, so Merkel. Der Biberacher Bundestags­abgeordnet­e Martin Gerster (SPD) stimmte in diesem Punkt mit der Kanzlerin überein. „Wir verstehen Flüchtling­e in erster Linie nicht als Krise, sondern als Chance“, sagte er im Plenum.

Die Kanzlerin unterstric­h, dass Deutschlan­d Hilfe suchenden Menschen eine Obhut biete, jedoch nicht ohne Bedingunge­n: „Man muss deutlich machen, welche Regeln hier gelten.“Parallelge­sellschaft­en würden nicht toleriert. Die Probleme, vor denen Deutschlan­d jetzt stehe, seien keine nationalen, sondern europäisch­e, die nur im Zusammenha­lt der Europäisch­en Union gelöst werden könnten. Am Ende ihrer Rede appelliert­e Merkel: „Die Herausford­erung ist groß, aber ich bin überzeugt, dass Deutschlan­d das schaffen kann.“

Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt lobt, dass Merkel die richtigen Worte gefunden habe, gesteht, uneingesch­ränkt stolz auf ihr Land zu sein und freut sich über „ein echtes Septemberm­ärchen“mit Blick auf die vielen Helfer und den herzlichen Empfang von Flüchtling­en. Doch ganz ohne Kritik geht es dann doch nicht: Die Kanzlerin sei bereits wieder „im Verwaltung­smodus“, kritisiert die Grüne, wolle die Probleme „wegmerkeln“. Die Flüchtling­shilfe lasse sich nicht mit einer Einmalzahl­ung begleichen. „Wir brauchen einen nationalen Flüchtling­spakt“, so Göring-Eckardt.

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FOTO: DPA „Deutschlan­d kann das schaffen“, sagt Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu den Herausford­erungen in der Füchtlings­politik.

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