Seltene Einmütigkeit im Bundestag
Flüchtlingspolitik wichtigstes Thema bei der Generaldebatte – Kanzlerin Merkel mahnt europäische Lösung an
BERLIN - Normalerweise ist dies die Stunde der Opposition, die Gelegenheit, mit der Regierungspolitik abzurechnen. An Mittwoch war es anders: Unter dem Eindruck der Bilder von Menschen auf der Flucht blieben die Angriffe auf die Große Koalition aus. Von links bis rechts, von den Linken bis hin zu den Christsozialen war man sich einig, dass der eingeschlagene Kurs der richtige ist.
Zunächst schien es fast so, als wollte Angela Merkel (CDU) in der Haushaltsdebatte die Flüchtlingsfrage unter den Tisch fallen lassen. Eine halbe Stunde Redezeit hatte die Kanzlerin. Dem zentralen Thema räumte sie nur einen Bruchteil davon ein.
Breitbandverbindungen bis 2018 auch in ländlichen Regionen, ein prognostiziertes Wirtschaftswachs- tum von 1,8 Prozent oder das Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes nach mehr als zehnjähriger Diskussion im Parlament – Merkel ließ sich Zeit für all die Dinge, die zwar auch wichtig, aber nicht akut sind. Der großen Frage, wie mit den Flüchtlingen umgegangen werden soll und welche Herausforderungen damit verbunden sind, stellte sich Merkel erst zum Schluss.
„Wenn wir außenpolitisch nichts machen, hat das Konsequenzen für die Innenpolitik“, sagte die Kanzlerin. Die Konflikte vor Europas Toren haben jetzt auch Deutschland er- reicht. 800 000 Flüchtlinge bis zum Jahresende sind prognostiziert. Viele von ihnen werden Deutschland nicht wieder verlassen. Die Erfahrung mit den Gastarbeitern in den 1960er-Jahren soll als mahnendes Beispiel herhalten. Sprachunterricht, Ausbildung und Integration – das dürfe man bei den ankommenden Menschen nicht versäumen, so Merkel. Der Biberacher Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD) stimmte in diesem Punkt mit der Kanzlerin überein. „Wir verstehen Flüchtlinge in erster Linie nicht als Krise, sondern als Chance“, sagte er im Plenum.
Die Kanzlerin unterstrich, dass Deutschland Hilfe suchenden Menschen eine Obhut biete, jedoch nicht ohne Bedingungen: „Man muss deutlich machen, welche Regeln hier gelten.“Parallelgesellschaften würden nicht toleriert. Die Probleme, vor denen Deutschland jetzt stehe, seien keine nationalen, sondern europäische, die nur im Zusammenhalt der Europäischen Union gelöst werden könnten. Am Ende ihrer Rede appellierte Merkel: „Die Herausforderung ist groß, aber ich bin überzeugt, dass Deutschland das schaffen kann.“
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt lobt, dass Merkel die richtigen Worte gefunden habe, gesteht, uneingeschränkt stolz auf ihr Land zu sein und freut sich über „ein echtes Septembermärchen“mit Blick auf die vielen Helfer und den herzlichen Empfang von Flüchtlingen. Doch ganz ohne Kritik geht es dann doch nicht: Die Kanzlerin sei bereits wieder „im Verwaltungsmodus“, kritisiert die Grüne, wolle die Probleme „wegmerkeln“. Die Flüchtlingshilfe lasse sich nicht mit einer Einmalzahlung begleichen. „Wir brauchen einen nationalen Flüchtlingspakt“, so Göring-Eckardt.