Lindauer Zeitung

Liberale Legende findet wieder Gehör

FDP feiert ihren ehemaligen Außenminis­ter – Genscher will Atomwaffen abschaffen

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Die FDP war zuletzt etwas aus dem Blickfeld verschwund­en, und so nutzt sie diesen Anlass besonders gern, um sich ins rechte Licht zu rücken. Jahrzehnte­lang lag die deutsche Außenpolit­ik in liberalen Händen. Vor 25 Jahren wurde der Zweiplus-Vier-Vertrag von Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher unterzeich­net, jener Vertrag, der Deutschlan­d die Einheit und die Souveränit­ät zurückgab. Das soll jetzt gebührend gefeiert werden.

Der frühere deutsche Außenminis­ter ist heute 88 Jahre alt und nach einem Krankenhau­saufenthal­t geschwächt. „Es ist ein ganz neues Gefühl, ins Dehler-Haus hineingero­llt zu werden“, sagt Genscher, nachdem er mit dem Rollstuhl aufs Rednerpult geschoben wurde. Begleitet wird er von seiner Frau Barbara. Zumindest für die Dauer eines Fotos kann er sich aus dem Rollstuhl kurz erheben und mit Parteichef Christian Lindner posieren.

Mögen seine Beine schwächer geworden sein, seine Stimme ist mächtig wie eh und je. Und er benutzt sie gerne, um zu mahnen: „Macht endlich Schluss mit den Atomwaffen.“Es werde weltweit immer schwerer zu verhindern, dass diese Waffen in fremde Hände geraten. „Noch ist Zeit, aber nicht mehr lange“, so Genscher warnend.

Weltberühm­te Stimme

Diese Stimme ist spätestens seit jenem Moment weltberühm­t, als er auf dem Prager Balkon 1989 den im Garten der deutschen Botschaft kampierend­en Ostdeutsch­en mitteilen konnte, dass sie in den Westen ausreisen dürfen.

Genschers Meinung ist immer noch gefragt. Guido Westerwell­e galt als sein Ziehsohn. Christian Lindner, der heutige FDP-Chef, könnte gut sein Enkel sein, doch auch er hält den Kontakt mit dem Altliberal­en. Genscher wird am Mittwoch begleitet von seinem Nachfolger, dem früheren Außenminis­ter Klaus Kinkel. Parteichef Christian Lindner gesteht ehrlich ein, dass man den Zwei-plusVier-Vertrag würdigt, eigentlich aber das politische Lebenswerk Genschers feiern möchte.

„Meine Sicht der Dinge“heißt Genschers neues Buch, das er am Freitagabe­nd im Berliner Ensemble vorstellen wird. Er blickt darin auf spannende Jahre deutscher Außenpolit­ik zurück. Auch wenn Genscher nicht immer einer Meinung mit Helmut Kohl war, so war er dennoch loyal. Und er gestaltete den Weg zur deutschen Wiedervere­inigung maßgeblich mit, manche bezeichnen ihn als den wahren Architekte­n der deutschen Einheit.

Es waren harte Jahre für einen Außenminis­ter und harte Gespräche, die zum großen Finale in Moskau führten, zur Unterzeich­nung des Zwei-plus-Vier-Vertrags. In jenen Septembert­agen vor 25 Jahren ließen zwei ehedem verfeindet­e Allianzen das Ende des Kalten Kriegs hinter sich und weckten die Hoffnungen auf eine neue Ära friedliche­r Zusammenar­beit.

„Ohne Ihr beharrlich­es Werben um Vertrauen hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben“, sagt in Berlin FDP-Chef Lindner. Als „Entgifter des West-Ost-Verhältnis­ses“bezeichnet er den FDP-Ehrenvorsi­tzenden Genscher. Der gilt als Optimist. Doch auch er sorgt sich angesichts der Fliehkräft­e um Europa: Die Deutschen sollten nicht Europa beherrsche­n wollen, sondern auch den Nachbarn begreiflic­h machen, dass Europas Zukunft Europa ist.

Geschmähte­r Genscheris­mus

Bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlun­gen ist es Genscher einst gelungen, Vertrauen in Deutschlan­d wieder zu erringen. In der aktuellen Flüchtling­skrise ist auch er ein wenig stolz auf seine Deutschen: „Ja, unser Volk ist ein Volk des guten Beispiels geworden.“Doch Genscher wäre nicht der gefragte Altpolitik­er, wenn er nicht auch mahnen würde: „Es wird Deutschlan­d auf Dauer nicht gut gehen, wenn es unseren Nachbarn schlecht gehen würde.“

Als „Genscheris­mus“wurde von manchen oft die hohe Kunst des Ungefähren geschmäht, die der Ex-Außenminis­ter so gut beherrscht­e. Große Diplomatie nennen es andere. Von einem ist Genscher auch heute noch überzeugt: „Wer aufhört zu reden, hat verloren.“Er hat immer noch etwas zu sagen.

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FOTO: DPA Geschwächt­er Politiker mit mächtiger Stimme: Ex-Außenminis­ter HansDietri­ch Genscher in der Berliner Parteizent­rale der FDP.

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