Globale Turbulenzen, lokale Hysterien
Wie das deutsche Theater mit dem Zustand dieser Welt umgeht
HEIDELBERG - Die Bühne als Spiegel des Weltgeschehens: Theaterschaffende reagieren in ihren Stücken auf Krisen und Kriege. Dabei betonen sie Abschottungstendenzen des saturierten Mittelstandes.
Das deutschsprachige Theater des letzten Jahrzehnts wurde in starkem Maß von Elfriede Jelinek geprägt. Im Moment dominieren zwei ihrer Stücke die Spielpläne, mit denen sie die derzeit brisantesten politischen Problemlagen umkreist: die anschwellenden Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten und Armenhäusern der Welt und die nationalistischen Hassausbrüche gegen Fremde, die unter anderem das gezielte Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zur Folge hatten.
Das rechtsextreme Terrortrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe soll in den Jahren 2000 bis 2006 neun türkische und griechische Kleinunternehmer ermordet haben. Mundlos und Böhnhardt richteten sich selbst, der Fall Zschäpe wird vor dem Münchner Oberlandesgericht verhandelt. Die Angeklagte aber sagt kein Wort.
In „Das schweigende Mädchen“beschäftigt Elfriede Jelinek sich mit Beate Zschäpes Schweigen, mit dieser Hilflosigkeit und einer kaum zu zügelnden Wut, die so eine strategische Sprachlosigkeit hervorruft. Sie macht das auf mehr als 200 eng beschriebenen Seiten und es sieht so aus, als würde sie das rechte Mördertrio vor ihr ganz eigenes jüngstes Gericht stellen. Johan Simon hat an den Kammerspielen ein leises Sprachoratorium daraus gemacht. Der Text und die Münchner Uraufführung gehören zu den Ereignissen, mit denen das Theater auf eine Welt reagiert, die in ein babylonisches Gewirr territorialer und religiös motivierter Krisen und Kriege versinkt – begleitet von Terrorakten und Flüchtlingsströmen.
Korrektheit mit totalitären Zügen
Die Spielpläne der Theater spiegeln dieses babylonische Gewirr und zeigen, wie der immer noch reiche Mitteuropäer mit ganz eigenen Fluchtbewegungen auf dieses Weltchaos reagiert. Rebekka Kricheldorf zum Beispiel versammelt in „Homo Empathicus“eine Gemeinschaft vermeintlich konflikt- und angstfreier Menschen. In Göttingen, wo Erich Sidler das Stück zur Uraufführung gebracht hat, meint man, in einem drogengeschwängerten Hippie-Nirwana jenseits von Geldgier, Neid, Misstrauen und tödlicher Aggression gelandet zu sein. Tatsächlich führt Kricheldorfs dialogischer Theatertext aber vor, dass eine nach dem Regeln der Political Correctness organisierte Gemeinschaft doch wieder totalitäre, wenn nicht terroristische Züge trägt.
Der Wunsch nach einer von jeder rassistischen und sexistischen Emotion gereinigten Welt verwandelt sich in den Alptraum einer abgeschotteten „Brave new world“, in der das Individuum Massstab seiner selbst sein will und je nach Situation festlegt, was politisch korrekt oder unkorrekt ist.
In diese Richtung zielt auch „Jenseits von Fukujama“, in Osnabrück uraufgeführt und vor Kurzem von Dominic Friedel am Mannheimer Nationaltheater nachinszeniert. Dort ist Thomas Köck inzwischen Hausautor und gehört vor allem wegen dieses sich an das geschichtsanalytische Hauptwerk „End of history“des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama anlehnende Stück zu den aktuellen Newcomern.
„Jenseits von Fukujama“geht von den Glücksversprechen der 1990erJahre aus, ist aber eine pessimistische Zukunftsparabel, angesiedelt in einem Institut für Glücksforschung. Retten sich Kricheldorfs überforderte Globalisierungsmenschen noch in eine süße wattierte Traumwelt, ziehen sie sich bei Köck angesichts eines revoltierenden Mobs in einen hermetischen Schutzraum zurück.
Mit diesen so ganz unterschiedlichen Abschottungstendenzen führen die beiden Texte vor, dass die wohlhabende Mittelschicht der Welt angesichts der weltumspannenden Turbulenzen letztlich nur den eigenen Status quo sichern will. Eine Analyse, die auch auf Dirk Lauckes Figuren in „Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute“zutrifft, von Jan Gehler am Schauspiel Stuttgart zur Uraufführung gebracht.
Zunehmende Renazifizierung
Laucke wiederum geht es um jenen rechtsnational gewalttätigen Rassismus, der in Dresdner Pegida-Aufzügen und bundesweiten Neonazi-Attacken auf Flüchtlingsheime eskaliert. Er spürt die Ursprünge dieser zunehmenden Renazifizierung deutscher Dörfer und Städte aber nicht im Massenphänomen auf, sondern in all den alltäglichen Floskeln und ver- rutschten Sprachbildern, mit denen Trinkhallen-Prolls, mittelständische Ehepaare und gehobene Intellektuelle sich vom Leib halten wollen, dass die Menschen aus den Armutszonen dieser Welt auf dem Weg sind: in Richtung Mitteleuropa.
Aktuell, bitter und schmerzhaft
Eine ganz spezielle Text- und Szenen-Ausformung dieses Themas gab es vor Kurzem am Münchner Residenztheater. Dort hat Oliver Frljic mit seinem provokanten „Balkan macht frei“sich selbst und seine Arbeit im deutschsprachigen Theater thematisiert.
Der in Kroatien lebende bosnische Autor und Regisseur zeigt, dass ein privilegierter „Flüchtling“wie er im Traumland Deutschland zwar ohne Weiteres eine Arbeitserlaubnis erhält, vom dortigen Theaterbetrieb dann aber als Vorzeige-Balkanese mehr oder weniger missbraucht wird. Frljic hat das selbst am Münchner Residenztheater inszeniert und nicht zuletzt mit einer realen Waterboarding-Szene vorgeführt, wie aktuell, bitter und schmerzhaft Theater heute sein kann.