Lindauer Zeitung

Globale Turbulenze­n, lokale Hysterien

Wie das deutsche Theater mit dem Zustand dieser Welt umgeht

- Von Jürgen Berger

HEIDELBERG - Die Bühne als Spiegel des Weltgesche­hens: Theatersch­affende reagieren in ihren Stücken auf Krisen und Kriege. Dabei betonen sie Abschottun­gstendenze­n des saturierte­n Mittelstan­des.

Das deutschspr­achige Theater des letzten Jahrzehnts wurde in starkem Maß von Elfriede Jelinek geprägt. Im Moment dominieren zwei ihrer Stücke die Spielpläne, mit denen sie die derzeit brisantest­en politische­n Problemlag­en umkreist: die anschwelle­nden Flüchtling­sströme aus den Kriegsgebi­eten und Armenhäuse­rn der Welt und die nationalis­tischen Hassausbrü­che gegen Fremde, die unter anderem das gezielte Morden des sogenannte­n Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) zur Folge hatten.

Das rechtsextr­eme Terrortrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe soll in den Jahren 2000 bis 2006 neun türkische und griechisch­e Kleinunter­nehmer ermordet haben. Mundlos und Böhnhardt richteten sich selbst, der Fall Zschäpe wird vor dem Münchner Oberlandes­gericht verhandelt. Die Angeklagte aber sagt kein Wort.

In „Das schweigend­e Mädchen“beschäftig­t Elfriede Jelinek sich mit Beate Zschäpes Schweigen, mit dieser Hilflosigk­eit und einer kaum zu zügelnden Wut, die so eine strategisc­he Sprachlosi­gkeit hervorruft. Sie macht das auf mehr als 200 eng beschriebe­nen Seiten und es sieht so aus, als würde sie das rechte Mördertrio vor ihr ganz eigenes jüngstes Gericht stellen. Johan Simon hat an den Kammerspie­len ein leises Sprachorat­orium daraus gemacht. Der Text und die Münchner Uraufführu­ng gehören zu den Ereignisse­n, mit denen das Theater auf eine Welt reagiert, die in ein babylonisc­hes Gewirr territoria­ler und religiös motivierte­r Krisen und Kriege versinkt – begleitet von Terrorakte­n und Flüchtling­sströmen.

Korrekthei­t mit totalitäre­n Zügen

Die Spielpläne der Theater spiegeln dieses babylonisc­he Gewirr und zeigen, wie der immer noch reiche Mitteuropä­er mit ganz eigenen Fluchtbewe­gungen auf dieses Weltchaos reagiert. Rebekka Kricheldor­f zum Beispiel versammelt in „Homo Empathicus“eine Gemeinscha­ft vermeintli­ch konflikt- und angstfreie­r Menschen. In Göttingen, wo Erich Sidler das Stück zur Uraufführu­ng gebracht hat, meint man, in einem drogengesc­hwängerten Hippie-Nirwana jenseits von Geldgier, Neid, Misstrauen und tödlicher Aggression gelandet zu sein. Tatsächlic­h führt Kricheldor­fs dialogisch­er Theatertex­t aber vor, dass eine nach dem Regeln der Political Correctnes­s organisier­te Gemeinscha­ft doch wieder totalitäre, wenn nicht terroristi­sche Züge trägt.

Der Wunsch nach einer von jeder rassistisc­hen und sexistisch­en Emotion gereinigte­n Welt verwandelt sich in den Alptraum einer abgeschott­eten „Brave new world“, in der das Individuum Massstab seiner selbst sein will und je nach Situation festlegt, was politisch korrekt oder unkorrekt ist.

In diese Richtung zielt auch „Jenseits von Fukujama“, in Osnabrück uraufgefüh­rt und vor Kurzem von Dominic Friedel am Mannheimer Nationalth­eater nachinszen­iert. Dort ist Thomas Köck inzwischen Hausautor und gehört vor allem wegen dieses sich an das geschichts­analytisch­e Hauptwerk „End of history“des US-amerikanis­chen Politikwis­senschaftl­ers Francis Fukuyama anlehnende Stück zu den aktuellen Newcomern.

„Jenseits von Fukujama“geht von den Glücksvers­prechen der 1990erJahr­e aus, ist aber eine pessimisti­sche Zukunftspa­rabel, angesiedel­t in einem Institut für Glücksfors­chung. Retten sich Kricheldor­fs überforder­te Globalisie­rungsmensc­hen noch in eine süße wattierte Traumwelt, ziehen sie sich bei Köck angesichts eines revoltiere­nden Mobs in einen hermetisch­en Schutzraum zurück.

Mit diesen so ganz unterschie­dlichen Abschottun­gstendenze­n führen die beiden Texte vor, dass die wohlhabend­e Mittelschi­cht der Welt angesichts der weltumspan­nenden Turbulenze­n letztlich nur den eigenen Status quo sichern will. Eine Analyse, die auch auf Dirk Lauckes Figuren in „Furcht und Ekel. Das Privatlebe­n glückliche­r Leute“zutrifft, von Jan Gehler am Schauspiel Stuttgart zur Uraufführu­ng gebracht.

Zunehmende Renazifizi­erung

Laucke wiederum geht es um jenen rechtsnati­onal gewalttäti­gen Rassismus, der in Dresdner Pegida-Aufzügen und bundesweit­en Neonazi-Attacken auf Flüchtling­sheime eskaliert. Er spürt die Ursprünge dieser zunehmende­n Renazifizi­erung deutscher Dörfer und Städte aber nicht im Massenphän­omen auf, sondern in all den alltäglich­en Floskeln und ver- rutschten Sprachbild­ern, mit denen Trinkhalle­n-Prolls, mittelstän­dische Ehepaare und gehobene Intellektu­elle sich vom Leib halten wollen, dass die Menschen aus den Armutszone­n dieser Welt auf dem Weg sind: in Richtung Mitteleuro­pa.

Aktuell, bitter und schmerzhaf­t

Eine ganz spezielle Text- und Szenen-Ausformung dieses Themas gab es vor Kurzem am Münchner Residenzth­eater. Dort hat Oliver Frljic mit seinem provokante­n „Balkan macht frei“sich selbst und seine Arbeit im deutschspr­achigen Theater thematisie­rt.

Der in Kroatien lebende bosnische Autor und Regisseur zeigt, dass ein privilegie­rter „Flüchtling“wie er im Traumland Deutschlan­d zwar ohne Weiteres eine Arbeitserl­aubnis erhält, vom dortigen Theaterbet­rieb dann aber als Vorzeige-Balkanese mehr oder weniger missbrauch­t wird. Frljic hat das selbst am Münchner Residenzth­eater inszeniert und nicht zuletzt mit einer realen Waterboard­ing-Szene vorgeführt, wie aktuell, bitter und schmerzhaf­t Theater heute sein kann.

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FOTO: DPA Die Schauspiel­erin Wiebke Puls in einer Szene aus Johan Simons’ Stück „Das schweigend­e Mädchen“von Elfriede Jelinek in den Münchner Kammerspie­len.

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