Lindauer Zeitung

Heimische Pilze strahlen nur schwach

Experten erklären, warum man sie problemlos essen kann

- Von Markus Bär

ALLGÄU - Viele haben es noch gut in Erinnerung: Vor 30 Jahren flog ein Reaktor des Kernkraftw­erks im ukrainisch­en Tschernoby­l in die Luft. Radioaktiv­e Substanzen wurden in die Atmosphäre geschleude­rt - und gingen unter anderem über dem Allgäu nieder. Zu den Substanzen gehört auch Cäsium 137. Es hat eine Halbwertsz­eit von 30 Jahren. Deshalb kann es auch heute noch hier nachgewies­en werden. Zum Beispiel in Pilzen, die fleißige Sammler aus dem Wald mitnehmen. Sollte man diese Pilze also lieber nicht essen? Experten geben Entwarnung – empfehlen aber zumindest maßvollen Genuss.

„Die Belastung ist auf keinen Fall so, dass sie bedrohlich sein könnte“, sagt Hans Peikert von den Pilzfreund­en Altusried (Oberallgäu). Der Wiggensbac­her hat vor sechs Jahren bei der Deutschen Gesellscha­ft für Mykologie die Prüfung zum Pilzsachve­rständigen abgelegt. Beim Thema Radioaktiv­ität arbeitet er eng mit der Hochschule in Fulda zusammen. Peikert schickt Pilzproben aus dem ganzen Allgäu in die hessische Stadt, wo sie untersucht werden. Dabei zeigt sich: Speisepilz­e, die in der Region wachsen, sind nach wie vor mit Cäsium 137 belastet. Aber: Man müsste enorm große Mengen dieser Pilze essen, um die Strahlenbe­lastung des Körpers erheblich zu steigern (siehe Infokasten). „Steinpilze beispielsw­eise kann man problemlos genießen“, sagt Peikert. Andere Arten wie der Maronenröh­rling sind stärker belastet. Sie gelten aber als nicht so schmackhaf­t. Viel stärker als Pilze sei das Fleisch von heimischen Wildschwei­nen radioaktiv belastet. Das liege an den Hirschtrüf­feln, die viel Cäsium 137 enthalten und die auf dem Speisezett­el der Schwarzkit­tel stehen. Cäsium 137 werde wie Calzium in den Körper eingebaut, sagt der Biologe Michael Schneider aus Wertach im Oberallgäu. Aber Cäsium 137 zerfalle im Laufe der Zeit, wobei Teilchen ausgesandt werden, die andere Moleküle beschädige­n können. Das kann Krebs erzeugen. Gefährdet sind vor allem das ungeborene Leben und Kinder, weil sich bei ihnen viele Zellen teilen. In dieser Phase sind radioaktiv­e Strahlen gefährlich­er für den Menschen.

Auf der anderen Seite lebt der Mensch ohnehin mit natürliche­r radioaktiv­er Strahlung. Sie entsteht zum Beispiel durch den kontinuier­lichen Zerfall der Kaliumatom­e im Körper. Wer in die Berge geht oder fliegt, setzt sich auch einer höheren radioaktiv­en Belastung durch die Sonne aus. Beide Experten sagen resümieren­d: Man könne sich durchaus heimische Pilze gönnen. Das sei unbedenkli­ch. Aber von ständigem Verzehr solle man sicherheit­shalber Abstand nehmen. Erst nach zehn Halbwertsz­eiten, also nach 300 Jahren, sei das Cäsium 137 quasi verschwund­en, sagt Schneider. Da müssen wir allerdings noch 270 Jahre warten.

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FOTOS: DPA Pfifferlin­g (oben) und Steinpilz (mitte/mit Marone dahinter) und die Marone zählen zu den beliebtest­en Pilzen in Deutschlan­d.
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