Neue Töne aus Stockholm
Nobelpreis für Bob Dylan: Die Entscheidung des Komitees ist für die einen überfällig, für die anderen ein Skandal
Erstmals in der Geschichte des Literaturnobelpreises erhält mit Bob Dylan ein Musiker die begehrte Auszeichnung. Der 75-Jährige, einst in den 1960er-Jahren Stimme der Jugend- und Protestbewegung, habe „neue poetische Ausdrucksformen im Rahmen der großen US-amerikanischen Songtradition geschaffen“, erklärte das Nobelpreiskomitee am Donnerstag in Stockholm. Die Ehrung rief erwartungsgemäß weltweit gespaltene Reaktionen hervor.
Wahrscheinlich hat er sich überaus köstlich amüsiert über die gar vielfältigen Reaktionen, die sein Literaturnobelpreis hervorgerufen hat. Bob Dylan hat seit den frühen 1960er-Jahren schon als Singer-Songwriter stets die Meinungen seines Publikums geteilt wie einst Moses das Rote Meer. „Hosianna!“oder „Kreuziget ihn!“, hießen stets die Alternativen. Während seine Fans nun frohlocken, dass der Meister endlich, endlich mit der höchsten Literaturauszeichnung geehrt wird, kriegen die Elfenbeinturm-Anhänger der reinen Schriftlehre Schnappatmung, weil ein alter Rockstar den begehrten Lorbeer für seine „poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songwriter-Tradition“(Begründung des Nobelkomitees) einheimst.
„Ich bin ein Großvater. Ich habe Enkel, die andere Sänger gut finden. Ich spiele für Leute, die meine Gefühle verstehen“, hat der große Rätselhafte aus Duluth, Minnesota, mal verkündet. Ein typischer Dylan-Satz: Wie könnte man seine Gefühle verstehen, wenn man den Schöpfer und Sänger von Weltkulturerbe-Liedern selbst bei bestem Willen nur phasenweise versteht?
Bob Dylan hat in den 1960er-Jahren mit Songs wie „Blowin’ in The Wind“, „Like A Rolling Stone“oder „Masters of War“der Musik Profil gegeben, Haltung, Verstand auch und Aufmüpfigkeit. Er war die Stimme von Freiheit und Freizügigkeit einer ganzen Generation, ehe die widerliche Wirklichkeit die Studenten einholte und die Jugendträume im Erwachsenenleben zwischen Zweitwagen und Drittfrau erstarrten.
Dylans Texte waren bis zur Schmalzebene hin zärtlich-poetisch („Sad Eyed Lady of The Lowlands“) und bis an den Surrealismus grenzend unverständlich („Juwelen und Ferngläser baumeln vom Kopf des Maultiers/Aber diese Visionen von Johanna lassen alles so grausam erscheinen“/Visions of Johanna/Blonde by Blonde). Eines waren sie nie: langweilig und unpoetisch. „Er hat dem Pop Verstand gegeben“, schrieb einst der renommierte Pop-Poet Nik Cohn.
Bob Dylan hat vor allem der Musikhistorie Gehalt gegeben – in Protestsongs („Masters of War“) und in zartbitteren Liebesliedern („I Want You“). „Alles, was ich mache, basiert auf Fehlern“, hat er in einem Anfall von Ehrlichkeit einst geäußert, um gleich die Masse der Fehltritte noch publikumswirksam zu vergrößern. Seinen Hit „The Times They Are A-Changin’“beispielsweise hat er an die Bank of Montreal als Werbe-Jingle verkauft. Er ist in Bologna vor Papst Johannes Paul II. mit „Knockin’ on Heaven’s Door“aufgetreten. Undund er, der Prediger des Anti-Militarismus und der Friedfertigkeit, hat vor den Offizier-Kadetten an der USKaderschmiede Westpoint gesungen.
Literarischer Ritterschlag
Dylan ist auf einen jahrelangen JesusTrip gegangen und hat sich trotz heftiger Irritationen seiner Jünger nie fundamental erklärt: „Ich möchte nicht mehr an mich selbst erinnert werden“, sagte er schon vor 20 Jahren. Doch weil seine Jünger und nicht nur diese sich stets an ihn und seine Texte und Melodien erinnern, ist der „Shakespeare seiner Generation“(„New York Times“) schon seit vielen Jahren stets als Nobelpreiskandidat für Literatur – für Popmusik gibt es ja keinen – gehandelt worden. Nun ist der Vater von fünf erwachsenen Kindern, der seit mehr als 20 Jahren auf seiner Never Ending Tour rund um den Globus reist, also doch mit dem literarischen Ritterschlag geadelt worden. Eigentlich könnte er jetzt seine nie endend sollende Tour abbrechen. Aber das wäre ein Stilbruch: Dann hätte er erstmals das gemacht, was die Leute von ihm erwarten.