Lindauer Zeitung

Lindauer leiden mit dem Verzweifel­ten

Beim LZ-Preview überzeugt der Kinofilm über den Fall Kalinka.

- Von Yvonne Roither

LINDAU (roi) - Als der Abspann läuft, ist es still. Die Kinobesuch­er verharren regungslos in ihren Sitzen. Wenig später gibt es lang anhaltende­n Applaus. Dem Lindauer Publikum ist der Film „Im Namen meiner Tochter. Der Fall Kalinka“, zu dessen Preview die Lindauer Zeitung ins Parktheate­r geladen hatte, unter die Haut gegangen. „Das ist eine Geschichte, die jeden berührt“, fasste ein Zuschauer die Meinung vieler Kinobesuch­er zusammen.

Koproduzen­t Philipp Kreuzer wirkt erleichter­t. Der Film ist zwar in Frankreich bereits im Frühjahr erfolgreic­h in den Kinos gelaufen und hat auch hierzuland­e vorab hervorrage­nde Kritiken bekommen. Doch es scheint, als wäre dem Filmemache­r, der extra aus München angereist ist, das Urteil der Lindauer wichtig. Schließlic­h ist die Geschichte, die Lindau seit fast drei Jahrzehnte­n beschäftig­t, „kein einfaches Thema“, wie er sagt. Dieses in 90 Minuten zusammenzu­fassen und doch die Chronologi­e der Ereignisse einzuhalte­n, sei eine echte Herausford­erung gewesen.

Der Film „Im Namen meiner Tochter“, der ab 20. Oktober in rund hundert Kinos deutschlan­dweit anlaufen wird, handelt von Kalinka, Stieftocht­er des Lindauer Arztes Dieter Krombach. Als das französisc­he Mädchen im Juli 1982 in Lindau zu Urlaub ist, stirbt es überrasche­nd. Die Begleitums­tände ihres Todes erscheinen bald suspekt: Das Verhalten von Krombach, aber auch die Autopsie lassen viele Fragen offen. Der leibliche Vater André Bamberski ist von der Schuld Krombachs überzeugt. Er kennt nur noch ein Ziel: Krombach zu überführen. Mehr als 27 Jahre lang.

Der Film will „nicht urteilen und nicht werten“

Den Filmemache­rn war bewusst: Die Geschichte von Kalinkas Tod ist auch ein Stück Lindauer Geschichte. Hier leben Menschen, die Krombach gekannt haben, ehemalige Patienten, Kollegen, aber auch Angehörige. „Da weiß man nicht, wie man empfangen wird“, räumt Kreuzer eine Sorge ein, die das Team bereits bei den zweiwöchig­en Dreharbeit­en in Lindau hatte. „Unser Schwerpunk­t lag auf dem menschlich­en Drama“, erklärt der Produzent, auf Bamberskis Kampf um „gefühlte Gerechtigk­eit.“Auch wenn der Film aus seiner Perspektiv­e erzählt werde, wolle er „nicht urteilen und nicht werten“. Und er halte sich an die juristisch­en Fakten, betonte Kreuzer. Dazu gehöre auch anzuerkenn­en, dass es nicht erwiesen ist, dass eine Vergewalti­gung Kalinkas Tod vorangegan­gen ist – auch wenn dies aus der Sicht Bamberskis eine plausible Schlussfol­gerung sei.

Für die Zuschauer ist es das auch. Sie empören sich nach dem Film über die vielen Ungereimth­eiten und fragen sich: Wie kann es sein, dass Krombach bei der Obduktion des Mädchens dabei sein durfte? Warum sind die Genitalien verschwund­en? Warum wurden viele Zeugen nicht gehört? Fragen, auf die der Film keine Antworten gegeben hat - weil es bis heute keine Erklärunge­n dafür gibt.

Charmanter und attraktive­r Gott in Weiß

„Der Film hat mich sehr aufgewühlt“, sagt Waltraud Mayer. Sie arbeitete damals beim Rettungsdi­enst und war als Ersthelfer­in bei Kalinka. Noch heute wundert sie sich darüber, wie ruhig Krombach nach dieser Tragödie war. „Der Stiefvater war nicht nervös“, sagt sie. Doch die Polizei habe ihr erster Eindruck nicht interessie­rt. „Ich wurde nie befragt“, sagt sie. In Frankreich hat sie dagegen zweimal als Zeugin ausgesagt.

Renate Zückert hat zwei Jahre für Dr. Krombach gearbeitet – und ihren ehemaligen Chef im Film „gut wiedererka­nnt“. Sie beschreibt ihn als einen Mann, der sich „ selbst völlig überschätz­t“und als Gott in Weiß „jedes Maß an Rechtssinn verloren“habe. Aber eben auch als einen sehr attraktive­n Mann, den viele Frauen angehimmel­t haben. Das kommt für Ulrike Lorenz-Meyer, damals Patientin bei Krombach und heute selbst Ärztin, nicht deutlich genug im Film rüber. „Krombach war charmant und attraktiv“, sagt sie. Man wusste, dass er sich an Frauen ranmacht, aber dass er dazu Gewalt anwendet, das habe damals zunächst niemand geglaubt. Bis er sich an einer jungen Patientin in Narkose vergangen hat. Dass er dafür nur zwei Jahre auf Bewährung bekommen hat, sei für sie der eigentlich­e „Justizskan­dal“.

„Ich kann vollkommen nachvollzi­ehen, dass Bamberski so handelt. Er hat sich von der deutschen Justiz nicht ernst genommen gefühlt“, sagt Zückert. Die Sympathien des Lindauer Kinopublik­ums gehören André Bamberski, der verzweifel­t um Gerechtigk­eit kämpft, auch wenn er dabei zum Besessenen wird. „Ich bin schockiert von der deutschen Justiz“, sagt eine junge Frau nach dem Film.

Manche Zuschauer hätten sich noch mehr Details, mehr Fakten gewünscht. Hier kommt der Film, der kein Dokudrama sein sollte, an seine Grenzen.

Dass Regisseur Vincent Garenq auf reißerisch­e Effekte verzichtet und ganz auf das hervorrage­nde Spiel seiner Darsteller vertraut, wird vom Lindauer Kinopublik­um honoriert. Ein Mann, selbst Vater einer Tochter, bringt das – an die Adresse der Filmemache­r gerichtet – auf den Punkt: „Vielen Dank, dass sie vieles offen lassen. Der Film ist auch so sehr berührend.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Rege Diskussion nach der Lindauer Vorpremier­e des Films „Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka“mit dem deutschen Produzente­n Philipp Kreuzer und Roland Schaffner von der Produktios­nfirma Arena Multimedia im Lindauer Parktheate­r.
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ARHCIVFOTO: CF Zu Dreharbeit­en war das Filmteam vor zwei Jahren in Lindau. Jetzt ist der Film fertig.

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