Mit der Brille in virtuelle Welten
3-D-Forscher Dmitri Popov über Anwendungsgebiete und Risiken des Virtual-Reality-Trends
RAVENSBURG (off) - „Virtual Reality“-Brillen, mit denen der Zuschauer virtuell in 360-Grad-Videos eintauchen kann, liegen im Trend. Welche Chancen das künftig für Unternehmen birgt, wie ausgereift die Entwicklung ist und welche Risiken die neue Technologie hat, erklärt ein 3-DForscher im Interview.
Brille auf und schon ist man woanders: Virtuelle Realität (VR) soll den Benutzer in neue Dimensionen vorstoßen lassen. Im Gespräch mit Daniel Drescher erklärt der Hochschuldozent Dmitri Popov Chancen und Risiken der Technologie.
Warum hat sich VR bisher nicht in der Masse durchgesetzt, anders als etwa Smartphones?
Anfang der 1990er-Jahre gab es zwei technische Probleme, die man inzwischen gelöst hat. Die Auflösung war katastrophal im Vergleich zu heute, die Bilder konnten nicht in einer überzeugenden Qualität geliefert werden. Zudem war die Synchronisierung von Bewegung und Bild nicht gut. Zum Medium an sich kann man sagen, dass es immer so ist: Bei neuen Technologien, denkt man, dass sie die ganze Welt verändern und dass sie überall und in jedem Bereich einsetzbar wären. Aber dann stellt man fest, es ist nicht so und wird enttäuscht. Auf diese Phase folgt dann aber eine produktive, da findet man die Nischen, in denen man neue Geräte einsetzen kann. Ich bin mir sicher, dass Virtual Reality nicht den Film ersetzen wird. Es ist Quatsch, das zu glauben. Es wäre auch unsinnig anzunehmen, wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg gesagt hat, dass man bald keine Computer oder Laptops mehr braucht, weil alles über Head Mounted Displays laufen wird. Vielleicht werden die Geräte in zehn Jahren so weit sein, aber momentan sehe ich das nicht.
Für welche Anwendungsgebiete hat VR den größten Nutzen?
Alle Medien versuchen, dieses „Being-there“-Gefühl, diese Telepräsenz, herzustellen. Ich sitze in einem Sessel, glaube aber nicht hier zu sein sondern auf einem anderen Planeten. Militär und Raumfahrt werden VR auf jeden Fall nutzen, bevor man ein kostspieliges Manöver auf einem realen Schlachtfeld realisiert, trainiert man lieber im virtuellen Raum. Preistechnisch ist das kein Vergleich zu jeder realen Anwendung. Aber auch Medizin: Wenn Studenten alle wichtigen Operationen mit VR-Brillen durchspielen können, ist das natürlich ein unglaublicher Zugewinn, der Risiken minimiert. Das Feld der Psychotherapie ist übrigens für VR auch ganz wichtig. Es gibt gerade für Menschen mit Depression spezielle VR-Angebote, sehr spannend. Das wichtigste Geschäftsfeld für VR liegt im B2B-Bereich. Als Baukranhersteller etwa muss ich den Kran nicht mehr auf die Messe mitnehmen, kann dem Kunden aber dank Virtual Reality einen Eindruck vom Produkt verschaffen.
Sogenannte Killerspiele werden immer wieder als Ursache für Gewalttaten angeprangert. Gibt es Studien darüber, was VR mit dem Menschen macht, etwa wenn man Ego-Shooter oder Horror-Games mit der VR-Brille noch viel intensiver erlebt als bisher?
Was die Auswirkungen von VR auf den Menschen angeht, gibt es bisher so gut wie keine Studien, auch im Bereich Marketing. Die Hochschule Fresenius führt Gespräche mit einem Automobilhersteller, ob wir gemeinsam so eine Untersuchung machen. Es geht darum, wie ein VR-Erlebnis die Kaufentscheidung des Kunden beeinflusst. Der ganze Markt wartet auf diese Zahlen. Zu den Gefahren: Die sind vorhanden, und die Diskussionen werden geführt. Wenn wir wieder einen Amoklauf erleben und es stellt sich heraus, dass der Täter eine VR-Brille besaß, wird diese Frage aufkommen, ganz klar. Ich bin ziemlich skeptisch, dass es eine direkte Verbindung zwischen der kriminellen Tat eines jungen Menschen und virtuellen Erlebnissen gibt. Mit meinen Studenten diskutiere ich dieses Thema gern, die Klassen sind geteilter Meinung. Manche sind überzeugt, dass es eine negative Wirkung gibt, aber wenn man selbst Gamer ist, verteidigt man das Medium Computerspiele. Die Frage bleibt offen, und ich bin mir nicht sicher, ob bei den Diskussionen ein brauchbares Ergebnis herauskommt. Wirtschaftlich gesehen wird VR im Gaming-Bereich eine Nische bleiben.
Wo sehen Sie weitere Risiken?
Es gibt noch einige Probleme, vor allem gesundheitliche Fragen: Es gibt Menschen, die finden das VR-Erlebnis unangenehm – bis hin zu Kopfschmerzen und Erbrechen. Da ist noch große Unsicherheit vorhanden. Man sollte sehr genau untersuchen, welche Auswirkungen das medizinisch hat, wie etwa Augen und Hirn auf VR reagieren. Natürlich muss man auch Risiken im Bereich der psychischen Gesundheit untersuchen, momentan gibt es da einfach noch keine Antworten.
Auf einer Zeitleiste – wo stehen wir?
Wir sind mittendrin. Wenn man es mit dem Film vergleicht, sind wir nicht mehr bei den Brüdern Lumière und dem Zug, der die Kinozuschauer erschreckt hat. Aber noch sind wir im Stadium des Schwarzweiß- und Stummfilms. Wenn die kreierten 3D-Wirklichkeiten und die normale Umgebung richtig kombiniert werden, dann wird es interessant.