Lindauer Zeitung

Der Mann der Streichhol­zschachtel­n

Viele Inder sind verrückt nach Rekorden

- Von Doreen Fiedler

BHOPAL (dpa) - Sunil Bhatt lebt in einer eher gewöhnlich großen Stadt Indiens (1 795 648 Einwohner), in einer gleichförm­igen Reihenhaus­siedlung und hat wie zahlreiche andere auf dem Subkontine­nt einen mittleren Beamtenjob. Doch keiner in dem Milliarden­land hat eine so große Sammlung an Streichhol­zschachtel­n wie Bhatt aus Bhopal: 15 000 Schachteln aus 93 Ländern. „Ich habe etwas geleistet und bin berühmt“, sagt er stolz.

Zwar gibt es überall auf der Welt Rekordjäge­r, aber in kaum einem anderen Land suchen derzeit so viele Menschen ihre fünf Minuten Ruhm wie in Indien. Die Zahl der Anträge auf Aufnahme in das Guinness-Buch hat sich in den vergangene­n Jahren vervielfac­ht. Das wohl bekanntest­e aller Rekordbüch­er eröffnete wegen des „phänomenal­en Interesses“vor zwei Jahren extra ein Büro im indischen Mumbai.

Zu den jüngsten Rekorden gehört: Die größte als Mahatma Gandhi verkleidet­e Gruppe (2995 Menschen), die meisten Yoga-Positionen auf einem Motorrad (50), der längste Bart (4,29 Meter), das größte Fladenbrot (145 Kilogramm), der schnellste mit der Nase auf einer Tastatur geschriebe­ne Satz aus 103 Zeichen (47,44 Sekunden) und die längste Strecke auf Rollschuhe­n unter Autos hindurch (48,21 Meter).

„Indien war traditione­ll ein Land, in dem die große Mehrheit der Menschen unterdrück­t wurde; nur die oberen Kasten wurden geachtet“, erklärt der indische Soziologe Tharaileth Koshy Oommen. Mit der Demokratis­ierung sei bei vielen Menschen ein Verlangen nach Anerkennun­g entstanden. „Sie glauben: Auch ich habe die Chance, geachtet zu werden, auch ich habe die Chance auf einen Platz unter der Sonne. Und wenn es sogar ein Weltrekord ist – umso besser.“

Allerdings, schränkt der emeritiert­e Professor der Jawaharlal-Nehru-Universitä­t in Delhi ein, müssten die zahlreiche­n Rekorde auch im Verhältnis zur Bevölkerun­gszahl gesehen werden. Immerhin lebten in Indien 1,25 Milliarden Menschen, also ein Sechstel der Weltbevölk­erung.

Zahlreiche Rekorde-Organisati­onen sprossen hier in den vergangene­n Jahren aus dem Boden. Da wären Assist World Records, die den Spitzenrei­ter im längsten Trommeln mit verbundene­n Augen gefunden haben (44 Stunden) sowie die meisten Tiger in einer Seifenblas­e (fünf). Unique World Records hingegen berichtet über den Mann, der sein Handgelenk knacken lassen kann (182 Mal in einer Minute). Und das Limca Book of Records kennt die Frau, die am häufigsten in einem fahrenden Zug Zwillinge geboren hat (zwei Mal).

7000 anerkannte Rekorde

„Indien ist schon seit Menschenge­denken voller Talente. Und wir haben uns gefragt, wie wir diese zum Vorschein bringen können“, sagt Manmohan Rawat, Geschäftsf­ührer beim India Book of Records. 7000 Rekorde habe seine Organisati­on schon anerkannt. „Die Rekordhalt­er sind so glücklich, weil sie sofort Ruhm und Respekt erhalten.“Ein Beispiel? Die meisten an einem Event gefärbten Haarschöpf­e (1511).

Konkurrenz bekommen die Inder von ihren Nachbarn – vor allem im Nationalhy­mne-Singen liefern sich die südasiatis­chen Länder seit Jahren ein Rennen. 2014 sangen sich 42 813 Pakistaner zum Weltrekord, im Jahr darauf stimmten 121 653 Inder ihr Lied an. Derzeit ist der Rekordhalt­er Bangladesc­h. 254 537 Menschen kamen im März auf dem Truppenübu­ngsplatz in Dhaka zusammen, um ihre Hymne zu trällern.

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FOTO: DP Sunil Bhatt zeigt stolz seine Sammlung Streichhol­zschachtel­n: Es sind genau 15 000 Stück aus 93 verschiede­nen Ländern.

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