Lindauer Zeitung

Da ist Musik drin

Auf den Spuren des jungen Johann Sebastian Bach in Thüringen

- Von Christine King

Wie er wohl war als Kind und später als junger Mann? Ständig mit den Fingern auf den Tasten, die Gedanken bei Registern und Akkorden und ansonsten frech? Oder eher still und ein folgsames Bürschlein? Ob Johann Sebastian Bach eine glückliche Kindheit hatte, ist nicht überliefer­t. Überhaupt ist über das Familienle­ben des Komponiste­n wenig bekannt. Sicher ist jedenfalls, dass die Eisenacher Kindheit des berühmtest­en der „Bache“– damals ein Synonym für Musiker – mit dem Tod der Eltern, die kurz hintereina­nder gestorben sind, abrupt zu Ende war. Für den neunjährig­en Knaben begann mit dem Umzug zum älteren Bruder ins nahe Ohrdruf eine Phase ständiger Ortswechse­l.

Die Tour beginnt in Eisenach

Wer sich ein paar Tage Zeit nimmt, kann mit dem Auto, per Fahrrad auf der Bach-Rad-Erlebnisru­nde oder auch mit Bus und Bahn die frühen Thüringer Lebensstat­ionen des weltberühm­ten Musikers abfahren. Und nicht nur Musikgesch­ichte erleben und Kirchen besichtige­n, sondern auch die Landschaft nebst Bratwurst und Klößen genießen und nebenbei die Menschen kennenlern­en, die sich für die Erhaltung von Museen und Kirchen einsetzen. Und natürlich Musik genießen, die hier das ganze Jahr an zahlreiche­n Orten auf erstklassi­gem Niveau geboten wird.

Dem Lebenslauf gemäß beginnt die Tour in Eisenach, dem Geburtsort des Komponiste­n. Idealerwei­se gleich mit einer Orgelmatin­ée oder einem Chorkonzer­t in der Georgenkir­che, wo bereits Luther – 200 Jahre vor Bach – Chorsänger war und bei dessen Liedersamm­lung sich der Komponist später ausführlic­hst bedient hat. Bachs Taufkirche ist frisch renoviert und die Akustik – heißt es – phänomenal. Im nahe gelegenen Bachhaus, einer gelungenen Symbiose aus moderner Architektu­r und altem Gemäuer, können Besucher Kompositio­nen nachvollzi­ehen oder den Klang antiker Instrument­e vergleiche­n.

In Ohrdruf hat das neunjährig­e Waisenkind beim großen Bruder, der hier Organist war, das Orgelspiel und noch andere Tasteninst­rumente gelernt. Hier wartet Hartmut Ellrich vor seiner Buchhandlu­ng auf Gäste. Er ist Historiker und weiß alles über den kleinen Ort, der manchem nur wegen der Bonbons der hier ansässigen Firma Storck bekannt ist und an vielen Ecken noch DDR-Charme versprüht. Fünf Jahre hat Bach hier gelebt. Ellrich kennt jeden Winkel und natürlich auch die neue Pastorin, die den Schlüssel bringt für eine finstere Kammer in St. Michaelis. Der Name „Kirchenbib­liothek“scheint auf den ersten Blick übertriebe­n, aber hier lagern wahre Schätze. „Wir haben authentisc­hes Material aus der Bachzeit. Bücher, Noten, alte Schriften“, sagt Ellrich, zieht Handschuhe an und hält andächtig das Kurrendebu­ch – die Liedersamm­lung Luthers – in die Höhe.

Hochzeit in der Traukirche

Nur 2000 Einwohner leben in Wechmar, nur ein paar Kilometer weiter, wo Elisabeth Hochberg vom Heimatvere­in viele Details aus Bachs großer Verwandtsc­haft kennt. Im BachStammh­aus erzählt sie „von etwa 100 Bachen, die zeitgleich mit Johann Sebastian in der Gegend lebten – nicht wenige als Musiker“. Wer es ganz genau wissen möchte, geht in den Garten. Dort hängt ein Stammbaum – mit mehr als 1000 Namen.

Im beschaulic­hen Dornheim hat Johann Sebastian anno 1707 seine Cousine Maria Barbara geheiratet. Das wirkt bis heute nach. „25 000 Besucher haben wir jedes Jahr und ganz viele Hochzeiten, sogar amerikanis­che“, sagt Siegfried Neumann vom Freundeskr­eis zur Erhaltung der Traukirche, die eigentlich „St. Bartholomä­us“heißt. Die Mitglieder konnten in fünfjährig­er Ehrenamtsa­rbeit die kleine Kirche vor dem Verfall retten. Neumann erzählt gern Bach’sche Anekdoten. Und wenn er aus der damaligen „Traueintra­gung“vorliest, „... dass die Eheleute kopulieret werden“, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wer sich rechtzeiti­g anmeldet, bekommt nicht nur eine Führung, sondern im Kirchhof noch Kaffee und Kuchen.

Ein lässiger, junger Mann

Immer wieder sind es die Thüringer selbst, die das Genie Bach lebendig werden lassen. Auch in Arnstadt, wo der junge Kirchenmus­iker Jörg Reddin mit strahlende­n Augen seine beiden übereinand­erliegende­n Orgeln in der Bachkirche erläutert und anschließe­nd Choralvors­piele intoniert. Stadtführe­r Stefan Buchtzik macht seinen Job mit Herzblut. Verkleidet als Johann Sebastian führt er durch den Ort, erzählt von Bachs Frechheite­n und weist auch auf die besten Gasthäuser hin, zum Beispiel auf Schellhorn­s Restaurant, wo selbst gemachter Apfelwein die Spezialitä­t ist. Dass das Bach-Denkmal auf dem Marktplatz von 1985, das den Barockkomp­onisten als lässigen, jungen Mann zeigt, so wie er im Alter von 18 Jahren nach Arnstadt kam, „hier doch sehr umstritten war“, ist heute kaum noch nachvollzi­ehbar. Schließlic­h galt die Zeit in Arnstadt als Bachs wilde Jahre. Er leistet sich Prügeleien und ein Orgelspiel, „bei dem er viel zu oft die Tonart wechselt und mit ungewöhnli­chen Tönen die Gemeinde verwirrt“.

Auch in Weimar, das mit Goethe, Schiller, Liszt und Bauhaus noch zusätzlich­e touristisc­he Anziehungs­kraft hat, ist Bach, der hier neun Jahre lebte und als Hoforganis­t arbeitete, allgegenwä­rtig. Drei Viertel seines gesamten Orgelwerke­s hat Bach hier komponiert. Ganz angepasst war das Genie als junger Mann wohl eher nicht. Er muss sogar „ein rechter Querulant“gewesen sein, wie aus einer zeitgenöss­ischen Beurteilun­g hervorgeht. Sogar einsitzen musste er – wegen „halsstarri­scher Bezeugunge­n“gegenüber seinen herzöglich­en Arbeitgebe­rn, von denen er sich schließlic­h im Unfrieden trennte und nach Köthen abzog. Die Gefängnisz­elle kann besichtigt werden.

Die Recherche wurde unterstütz­t von der Thüringer Tourismus GmbH.

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FOTOS: CHRISTINE KING In Eisenach, dem Geburtsort des Komponiste­n, steht ein gewaltiges Bach-Denkmal.
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Jörg Reddin ist der heutige Kirchenmus­iker in Arnstadt.
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Stefan Buchtzik steht als junger Bach verkleidet vor dem Denkmal.

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