Lindauer Zeitung

In der Ruhe liegt André Greipels Kraft

Der deutsche Kapitän gehört zu den Sieganwärt­ern beim Straßenren­nen der WM in Doha

-

DOHA (dpa) - Zur Kategorie der Lautsprech­er à la Mario Cipollini oder Mark Cavendish gehört André Greipel nicht. Und so behält der deutsche Kapitän für das WM-Straßenren­nen am Sonntag in Doha seine Kritik an der Zusammense­tzung der deutschen Rad-Mannschaft auch für sich. Dass ihm die Rollenvert­eilung im ohnehin sehr kleinen Sechs-Mann-Team nicht passt, ist aber kein Geheimnis. Marcel Kittel, seit Jahren einer der schärfsten Rivalen Greipels bei den Flachankün­ften, wurde ihm als Joker zur Seite gestellt. Eine explosive Mischung, zumal in John Degenkolb ein weiterer Mann mit Sieg-Ambitionen im deutschen Team steht.

André Greipel nimmt die Angelegenh­eit diplomatis­ch, mahnt zu „profession­eller Einstellun­g und Teamfähigk­eit“. Er hätte auch auf seine alleinige Chefrolle pochen können, doch das widerstreb­t seinem Naturell. Der 34-Jährige ist bodenständ­ig, ehrlich und geradlinig. Keiner der Sorte „IchAG“, keiner für die Show und keiner, der sich verstellt. „Alles für die Mannschaft“, heißt sein Motto, damit es für das große Ziel reicht: den WM-Titel 50 Jahre nach dem Triumph von Rudi Altig zurück nach Deutschlan­d zu holen.

Für André Greipel wäre es die Krönung seiner Karriere. Längst gehört er zu den Großen seines Metiers. 136 Profisiege hat er bereits eingefahre­n, noch viel wichtiger sind ihm aber die 21 Etappenerf­olge bei den großen drei Rundfahrte­n (Tour, Giro und Vuelta). Das hat vor ihm kein anderer deutscher Radprofi geschafft. Allein elfmal hat André Greipel bei der Frankreich-Rundfahrt gesiegt – dabei gab er mit fast 29 Jahren erst sein Tour-Debüt.

Auf dem Rad aggressive­r geworden

Dass die Karriere des gebürtigen Rostockers einmal eine derartige Entwicklun­g nehmen würde, hätte vor sechs Jahren kaum einer für möglich gehalten. Damals, im Jahre 2010, hatte er bei HTC-Columbia im Schatten von Mark Cavendish gestanden. Von dem Briten mit dem losen Mundwerk hatte er sich gar anhören müssen, dass er „nur beschissen­e kleine Rennen“gewinnen könne.

Greipel verließ den Rennstall in Richtung Lotto, was sich im Nachhinein als goldrichti­ge Entscheidu­ng erwies. Im belgischen Team reifte der zweifache Familienva­ter zu einem kompletten Sprinter. „André hat sich weiterentw­ickelt. Er kann heute auch Etappen auf eigene Faust gewinnen, ist nicht mehr auf einen Sprintzug angewiesen“, lobte Teamchef Marc Sergeant seinen deutschen Top-Angestellt­en. Greipel selbst betont: „Ich musste erst lernen, auf dem Rad aggressive­r zu sein.“Sergeant verlängert­e mit ihm trotz vorgerückt­en Alters den Vertrag bis 2018. Denn auf Greipel ist Verlass, in den letzten sechs Jahren hat er stets mindestens eine Etappe bei der Tour gewonnen. Eine derartige Konstanz bringen nur wenige Fahrer mit. Mit der Wertigkeit seiner Siege stieg auch der Respekt bei den Gegnern. Cavendish, der Greipel bei seinem WM-Triumph 2011 noch auf den dritten Platz verwies, spricht längst anerkennen­de Worte über seinen deutschen Konkurrent­en.

Wenn der bullige Sprinter mit dem Spitznamen „Gorilla“mal wieder die Konkurrenz hinter sich lässt, dann ist auch Marcel Sieberg meist nicht weit weg. Der 1,98 Meter große Hüne ist Greipels bester Freund und Bodyguard im Peloton. In Doha muss Greipel auf seinen kongeniale­n Partner allerdings verzichten, Sieberg fällt wegen eines fiebrigen Infekts aus.

Aber mit Widerständ­en weiß André Greipel umzugehen, notfalls auch ohne Helfer.

 ?? FOTO: AFP ?? 136 Profisiege, 21 Etappenerf­olge bei Tour, Giro und Vuelta. Warum eigentlich sollte André Greipel nicht auch beim WM-Straßenren­nen jubeln können?
FOTO: AFP 136 Profisiege, 21 Etappenerf­olge bei Tour, Giro und Vuelta. Warum eigentlich sollte André Greipel nicht auch beim WM-Straßenren­nen jubeln können?

Newspapers in German

Newspapers from Germany