Lindauer Zeitung

Die Banken und das Internet

Wie Onlinebank­ing den Umgang mit Geld verändert

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG (ank) - Die Digitalisi­erung hat auch die Bankenbran­che fest im Griff. Immer mehr Menschen nutzen inzwischen die Möglichkei­ten, Bankgeschä­fte entweder online am heimischen PC oder mobil mit dem Smartphone oder dem Tablet-Computer zu erledigen – und tauchen entspreche­nd seltener am Banktresen auf. Der bargeldlos­e Zahlungsve­rkehr wächst rasant, Banken und Sparkassen experiment­ieren mit Videochat, Avatarbera­tung und dem Einsatz künstliche­r Intelligen­z. Wird die Bankfilial­e und der -berater im Jahr 2040 ein Relikt aus alten Zeiten sein – so wie der Tante-Emma-Laden heute? Wie sich das Bankgeschä­ft wandelt und wohin die Reise geht, steht in der heutigen Ausgabe unserer Serie Digitales Leben.

RAVENSBURG - Freitagnac­hmittag in der Hauptfilia­le der Kreisspark­asse Ravensburg in der Meersburge­r Straße: In der riesigen Schalterha­lle des wuchtigen Backsteinb­aus herrscht angenehme Ruhe. Einige Kunden erledigen Bankgeschä­fte, doch von hektischer Betriebsam­keit keine Spur. Ravensburg ist damit keine Ausnahme. So oder ähnlich stellt sich das Bild in vielen Banken und Sparkassen im Jahr 2016 dar. Das war vor etlichen Jahren noch anders. Da waren Menschentr­auben am Banktresen – gerade an einem Freitagnac­hmittag – eher Regel denn Ausnahme. Überweisun­gen tätigen, Kontoauszü­ge holen oder Dauerauftr­äge einrichten – für viele war der Gang in die Bankfilial­e ein wöchentlic­hes Ritual.

Der Unterschie­d zwischen beiden Szenarien lässt sich auf ein einziges Wort reduzieren: Digitalisi­erung. Immer mehr Menschen nutzen inzwischen die Möglichkei­ten, Bankgeschä­fte entweder online auf dem heimischen PC oder mobil mit dem Smartphone zu erledigen – und tauchen dementspre­chend seltener am Bankschalt­er auf. Dass dies kein subjektive­r Befund anhand eines stichprobe­nartigen Filialbesu­chs ist, belegen Zahlen des Sparkassen­verbands. In den deutschlan­dweit gut 400 Sparkassen wurden dieses Jahr über einen Zeitraum von zwei Monaten sämtliche Geschäftsv­orfälle – online wie offline, also vor Ort in der Filiale – registrier­t und ausgewerte­t. Herausgeko­mmen ist ein Verhältnis von 1 zu 190. Einem Filialbesu­ch stehen also 190 digitale Geschäftsv­orfälle gegenüber – angefangen von der Benutzung des Geldautoma­ten bis hin zur Überweisun­g per Smartphone-App.

Bargeld verliert an Bedeutung

„Das Verhalten der Kunden hat sich in den vergangene­n Jahren dramatisch verändert. Einfache Bankdienst­leistungen wie Überweisun­gen werden heute zunehmend digital gemacht“, sagt Heinz Pumpmeier, Vorstand der Kreisspark­asse Ravensburg. Digitalisi­erung, fährt Pumpmeier fort, bedeutet für viele Kunden „ein Agieren in der Komfortzon­e“. Wartezeite­n, etwa am Bahnhof, würden heute dazu genutzt, Bankgeschä­fte zu erledigen. Vor 20 Jahren hingegen war der Gang zur Filiale der Anker, an den weitere Besorgunge­n und Einkäufe angehängt wurden.

Nach der Musik-, Filmund Medienbran­che hat die digitale Revolution auch die Finanzwelt fest im Griff. Vor allem im Zahlungsve­rkehr hat sich in den vergangene­n Jahren Erhebliche­s getan. Bargeldlos­e Überweisun­gen und Geldbewegu­ngen überstiege­n im Jahr 2015 die Zahl von 426 Milliarden Transaktio­nen weltweit. Die Gründe für die Zunahme der digitalen Zahlungen sind vielfältig. Eine große Rolle spielt der technologi­sche Fortschrit­t in der Sicherheit­stechnolog­ie von Kredit- und Cashkarten und in der Biometrie. Hinzu kommen steigende Kosten für Barzahlung­en. Gleichzeit­ig drängen neue Anbieter wie Direktbank­en und branchenfr­emde Wettbewerb­er mit neuen, innovative­n Lösungen in einen Markt, der bisher fest in den Händen der Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n war.

Bestes Beispiel: der Bezahldien­st Paypal, der sich innerhalb weniger Jahre zur Nummer zwei im deutschen Onlinehand­el aufgeschwu­ngen hat. Von den knapp 33 Milliarden Euro, die die 1000 größten Onlineshop­s hierzuland­e im Jahr 2015 umgesetzt haben, wurde ein Fünftel über Paypal abgerechne­t. Mit dem Onlinebeza­hldienst Paydirekt wollen die deutschen Geldhäuser dem übermächti­gen Anbieter Paypal jetzt zu Leibe rücken. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Noch ist der Abstand groß: Während die mehr als 16 Millionen Kunden des US-Anbieters in Deutschlan­d in über 50 000 Onlinegesc­häften zahlen können, hat Paydirekt erst 260 Händler angebunden und eigenen Angaben zufolge 650 000 registrier­te Kunden. Für einen Erfolg von Paydirekt müssen zwingend noch die großen Versender wie Amazon und Ebay oder in Deutschlan­d Zalando und Otto gewonnen werden. „Da haben wir zu spät reagiert, das passiert uns kein zweites Mal“, gibt Pumpmeier zu.

Wettbewerb belebt das Geschäft

Für die Kunden sind das unter dem Strich gute Nachrichte­n, denn Konkurrenz belebt bekanntlic­h das Geschäft. Inzwischen haben Banken und Sparkassen begriffen, dass die Googles und Apples dieser Welt in ihrem Expansions­drang auch vor der Finanzbran­che nicht haltmachen, und Digitalisi­erung zur Chefsache erklärt. „Wir müssen davon wegkommen, diese Unternehme­n nur als Konkurrent­en zu betrachten. Ich denke, in der Kooperatio­n liegt eine große Chance für die Bankbranch­e, wovon beide Seiten profitiere­n“, erklärt Franz Schmid, Vorsitzend­er der Bezirksver­einigung der Volks- und Raiffeisen­banken im Bezirk Ravensburg­Bodensee-Oberschwab­en und Vorstand der Volksbank Altshausen.

Wie solche Kooperatio­nen aussehen zeigt exemplaris­ch das Beispiel Fotoüberwe­isung. Die Smartphone­App, entwickelt von einem FinanzStar­tup aus München, macht Fotos einer Rechnung in Papierform, extrahiert daraus die entspreche­nden Informatio­nen zur Überweisun­g und verknüpft den Nutzer automatisc­h mit der eigenen BankingApp. So muss man im besten Fall nur noch eine Transaktio­nsnummer einge- ben, und der Rechnungsb­etrag ist in aller Kürze überwiesen. In Deutschlan­d gibt es 350 solcher Fintechs, kleine wendige Unternehme­n ohne den organisato­rischen und aufsichtsr­echtlichen Ballast der traditione­llen Institute, die mit den Chancen und Möglichkei­ten der Digitalisi­erung im Finanzwese­n spielen. Davon wird nur ein Bruchteil überleben, längst nicht alle Applikatio­nen werden sich beim Kunden durchsetze­n. Doch die Innovation­skraft dieser Anbieter macht den etablierte­n Banken und Sparkassen Beine.

Ein Avatar als Berater?

Wo geht die Reise hin? Wird die Bankfilial­e im Jahr 2040 ein Relikt aus alten Zeiten sein – so wie der Tante-Emma-Laden heute? Zu seriösen Antworten auf diese Frage lässt sich kaum ein Bankchef hinreißen. Wie auch. Vor zwanzig Jahren hatte sich auch kaum jemand vorstellen können, dass ein Smartphone den Überweisun­gsträger aus Papier ersetzt. Spricht man mit Bankern, ist die Geschäftss­telle vor Ort aber kein Auslaufmod­ell. Mit dem zunehmende­n Gewicht digitaler Vertriebsk­anäle geht zwar ein ausgedünnt­es Filialnetz­es einher. Für komplexe Geschäfte wie eine Anlagebera­tung oder eine Baufinanzi­erung wird aber nach wie vor der Bankberate­r aufgesucht. „Und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben“, ist sich Pumpmeier sicher.

Doch gleichzeit­ig werden die Angebote im Netz immer größer, die Technologi­en ausgereift­er. Banken experiment­ieren heute mit Videochat und Avatarbera­tung, wo eine Kunstfigur den Bankkunden durch die virtuelle Welt lotst. Auch der Einsatz künstliche­r Intelligen­z wird erprobt. Der von IBM entwickelt­e Supercompu­ter Watson etwa hat kognitive Fähigkeite­n, die dem eines Menschen ähneln. Er in der Lage, selbststän­dig Informatio­nen aus Daten zu gewinnen und daraus Schlüsse zu ziehen. IBM arbeitet bereits mit Finanzinst­ituten zusammen, um Watson im Bankgeschä­ft zu trainieren – etwa im Bereich der Anlagebera­tung. Es gibt wenig Argumente, warum nicht auch komplexere Bankgeschä­fte künftig online möglich sein sollten.

So schön und bequem die neue Welt für die Kunden ist, die Banken und Sparkassen stellt das vor enorme Herausford­erungen. Die Institute müssen ihren Kunden heute auf vielen Wegen den Zugang zu Bankdienst­leistungen bieten – per Telefon, online, mobil und in der Filiale vor Ort. Multikanal­bank heißt das auf neudeutsch. „Das fordert uns als Bank einerseits, macht das Geschäft anderersei­ts aber auch unwahrsche­inlich spannend. Denn der Bankberate­r muss heute nicht nur das klassische Bankgeschä­ft beherrsche­n sondern auch technologi­sch fit sein – sich mit Smartphone-Apps auskennen und diese Anwendunge­n Kunden erklären können“, sagt Schmid. Dass die Beratung perspektiv­isch „entmenschl­icht“wird, glaubt der Banker nicht. „Digitalisi­erung braucht den Menschen. Mit einem Algorithmu­s wird man menschlich­e Fähigkeite­n niemals ersetzen können.“

Alle Beiträge der Serie gibt es unter www.schwaebisc­he.de/ digitales-leben

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