Geschichten aus der Welt der Spione
NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags befragt wichtigen Zeugen– Verstrickung von US-Geheimdiensten in Polizistinnen-Mord immer unwahrscheinlicher
STUTTGART - Dreimal war er eingeladen, dreimal war er nicht erschienen, am Freitag endlich kam er nach Stuttgart: Mit Spannung hatte der NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags die Aussage von Reinhard K. erwartet. Der ehemalige Angestellte des US-Militärs lieferte einen bemerkenswerten Auftritt.
Im Zentrum der Sitzung stand der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Mitglieder des NSU hatten sie im April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese erschossen. Zunächst ging es um die Frage: War Kiesewetter nicht im regulären Einsatz, sondern Teil einer Aktion gegen Islamisten? Dazu hörten die Abgeordneten den ehemaligen Landespolizeipräsidenten Erwin Hetger. Er bestätigte, was bereits die Akten gezeigt hatten. Es gab zwar einen für alle Polizisten im Land geltenden Rahmenbefehl. Dieser sollte die Wachsamkeit gegenüber möglichen Islamisten erhöhen. Er ermöglichte es auch, reguläre Kräfte für solche Aktionen einzusetzen. Doch dieser Befehl erging erst Tage nach dem Mord an Kiesewetter. Sie sei auch nie als verdeckte Ermittlerin im Einsatz gewesen, betonte Hetger. Nach bisherigem Erkenntnisstand war Kiesewetter ein Zufallsopfer des NSU – wäre sie im Einsatz gegen Terroristen gewesen, hätte sich daraus ein Motiv ergeben können.
Am Nachmittag ging es um Frage zwei: Waren Mitarbeiter amerikanischer Geheimdienste anwesend, als Kiesewetter 2007 ermordet wurde? Feststeht: Geheimdienstmitarbeiter der USA hielten sich am Tattag in der Region auf. Doch ob sie am Tatort waren und ob es Verbindungen zum Mord gab, dafür hatte der Ausschuss bis Freitag keine Anhaltspunkte gesehen. Reinhard K. sollte Klarheit schaffen. Der 57-jährige, gesundheitlich sichtlich angeschlagene Deutsche arbeitete zwischen 2001 und 2009 als Zivilangestellter des US-Militärs in Hanau. Er sei unter anderem dafür zuständig gewesen, von deutschen Behörden Informationen über Extremisten zu erhalten und ans US-Militär weiterzugeben. K. wandte sich 2011 kurz nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“an das Bundeskriminalamt. Die Protokolle seiner Vernehmungen dokumentieren, was K. damals erzählte: Er habe zwei amerikanische Agenten in einer Raucherpause belauscht. Die hätten von möglichen Observationen der amerikanischen Geheimdienste an der Heilbronner Theresienwiese berichtet. Auch der „Stern“veröffentlichte 2011 eine Geschichte, die solche Aktivitäten beschrieb. Demnach – und nach den ersten Aussagen K.’s – observierten deutsche und amerikanische Agenten den türkischen Terrorhelfer Mevlüt K. in Heilbronn. An der Theresienwiese seien sie dabei Zeuge der Schüsse auf die Polizistin und deren Kollegen geworden.
Reinhard K., von seinen amerikanischen Kollegen Hardy genant, relativierte seine detaillierte Aussage von 2011 jedoch am Freitag. Nun konnte er sich nur noch an drei Sätze erinnern, die kurz nach dem Kiesewetter-Mord zwischen den beiden US-Agenten in Hanau fielen. „Hast du von den Ereignissen in Heilbronn gehört?“„Ja.“„Hoffentlich war da niemand von uns beteiligt, das könnte politische Verwicklungen geben.“
Das Wort „Theresienwiese“sei nicht gefallen, auch von einer Observation des Türken Mevlüt K. habe er nie etwas gesagt. Warum er dann sein Geständnis unterschrieben habe, wollte der Ausschuss wissen. „Ich habe mir das nicht mehr durchgelesen“, antwortete Reinhard K.
Er sieht sich als Opfer eines Komplotts: Als Betriebsrat sei er den USAmerikanern unbequem geworden, außerdem habe er kritische Fragen zu Terrorermittlungen gestellt. Deshalb habe man versucht, ihn loszuwerden. Seit 2009 ist er nicht mehr beim USMilitär und so krank, dass er nicht mehr arbeiten kann.
Grüne, CDU, SPD und FDP im Ausschuss bewerten K.s Auftritt als unglaubwürdig. Da K. zentrale Punkte seiner Aussage zurückgezogen hat, steht für sie fest: Verbindungen zwischen US-Diensten und dem Kiesewetter-Mord werden immer unwahrscheinlicher. Weitere Zeugen sollen letzte Zweifel ausräumen. AfD-Obfrau Christina Baum äußerte sich nicht.