Lindauer Zeitung

„Die Energiewen­de wird zum Sündenbock für eine vermurkste Umsetzung“

Claudia Kemfert vom DIW zu den Ursachen der steigenden Ökostrom-Umlage und den Möglichkei­ten gegenzuste­uern

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BERLIN - Die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostrom steigt im kommenden Jahr um gut einen halben Cent auf 6,88 Cent pro Kilowattst­unde. Das teilten die Übertragun­gsnetzbetr­eiber 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW am Freitag mit. Andreas Herholz sparch darüber mit Claudia Kemfert, Energieöko­nomin des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW).

Frau Kemfert, die EEG-Umlage steigt um acht Prozent, Strom wird für Verbrauche­r noch teurer. Läuft die Energiewen­de aus dem Ruder?

Nein. Die Energiewen­de-Politik läuft aus dem Ruder. Die Energiewen­de wird zum Sündenbock für eine vermurkste Umsetzung gemacht.

Wo liegen die Ursachen für die Erhöhung der Ökostrom-Umlage?

Für den Anstieg der EEG-Umlage gibt es zwei wesentlich­e Gründe: Zum einen errechnet sich die EEGUmlage aus der Differenz der Vergütunge­n für erneuerbar­e Energien und dem Strompreis an der Börse. Je niedriger der Börsenprei­s, desto höher also die Umlage. Der Börsenstro­mpreis wiederum ist gesunken, da neben den erneuerbar­en Energien vor allem noch immer zu viele Kohlekraft­werke am Netz sind, die zu einem enormen Strom-Angebotsüb­erschuss führen. Der zweite Grund ist, dass viele Industrieu­nternehmen keine EEG-Umlage zahlen müssen, wodurch Privathaus­halte unverhältn­ismäßig stark belastet werden. Diese Ausnahmen sollten eigentlich reduziert werden, das Gegenteil ist jedoch passiert.

In den vergangene­n beiden Jahrzehnte­n hat sich der Strompreis verdoppelt. Droht ein solcher Anstieg nicht auch für die Zukunft?

Durchaus, aber nicht aufgrund der erneuerbar­en Energien. Die erneuerbar­en Energien werden ja immer billiger und sind nur in sehr geringem Umfang für die Umlagestei­gerungen verantwort­lich. Eine Deckelung des Ausbaus erneuerbar­er Energien führt nur dazu, dass Jobs und Wirtschaft­skraft verlorenge­hen und die Energiewen­de-Ziele nicht erreicht werden können. Durch den politisch gewollten weiterhin hohen Anteil von Kohlestrom werden überdimens­ionierte Stromnetze erforderli­ch, die den Strompreis weiter steigen lassen. Zudem wurde eine „Abwrackprä­mie“für alte Kraftwerke beschlosse­n, was auch den Strompreis erhöht. Nicht die Energiewen­de macht Strom teurer, sondern die vermurkste Umsetzung und das krampfhaft­e Festhalten am Alten.

Wie kann hier effizient gegengeste­uert werden?

Es sollten die niedrigen Börsenprei­se an die Verbrauche­r weitergege­ben werden, dazu bedarf es mehr Regelungen. Ein konsequent­er Kohleausst­ieg würde helfen, um den Börsenstro­mpreis zu stabilisie­ren, die Klimaziele zu erreichen und einen überdimens­ionierten Netzausbau zu verhindern. Man sollte auch auf Abwrackprä­mien für alte Kraftwerke verzichten. All dies würde die Energiewen­de enorm verbillige­n.

Müsste nicht auch die Industrie stärker an den Kosten der Energiewen­de beteiligt werden?

Eindeutig ja. Eigentlich sollten ja die vielen Industrie-Ausnahmen vermindert werden. Die jetzige Regierung hat die Industrie-Ausnahmen aber noch erhöht, zu Lasten aller anderen Stromkunde­n. Eine faire Verteilung würde die EEG-Umlage für die jetzt stark Belasteten sinken lassen.

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