Im Engel steckt der Teufel im Detail
W er sich je gefragt hat, warum unsere Wirtshäuser so gerne Adler, Ochsen, Löwe oder Engel heißen, der findet eine mögliche Antwort in der Bibel. Denn die Namensgeber sind jeweils den vier Evangelisten zugeordnet, zu deren Ehren sich die Gastronomen vergangener und gottesfürchtigerer Zeiten ihre Symbole ans Haus gehängt haben sollen.
Im Engel am Ravensburger Marienplatz gibt es freilich noch eine andere mögliche Erklärung: Der Name könnte durchaus von den aufmerksamen und höchst freundlichen Servierdamen mit ihrer teils engelsgleichen Erscheinung herrühren. Jedenfalls vermögen diese flinken Wesen neben den dunkelholzbetonten Innenräumen auch die Stimmung der Gäste aufzuhellen.
Dazu geeignet ist ebenfalls der knackige Salat, dessen feinsäuerliches Dressing den Eigengeschmack der tadellosen Frischware hebt. Große Brühenkunst offenbart sich dann in der Terrine mit zarten Leberspätzle, die fein abgestimmt mit frischem Schnittlauch im golden glänzenden Sud baden. Die Suppe entfaltet einen intensiven Fleischgeschmack, der nicht auf Salz, sondern auf viel Rind basiert. Eine der grundehrlichen Bedienungen gibt übrigens unumwunden zu, dass die Maultaschen auf der Karte nicht hausgemacht sind. „Noch nicht“, wie sie betont. Aus diesem Grund fällt die Wahl beim Hauptgang auf das Cordon bleu vom Kalb. Anstatt des KartoffelGurken-Salats liefert die Bedienung lächelnd Spätzle, womit sich auch die schwäbischen Grundkenntnisse der Küche überprüfen lassen. Die Spätzle haben eine eher grobe Form und wirken ein bisschen blass, parfümiert von einer feinen Butternote. Womöglich befindet sich der Koch aber im Stadium des Liebeskummers, denn es fehlt etwas Salz. Die dazu gereichte Bratensoße ist leider in jeder Hinsicht etwas dünn geraten. Kaum Fleischaroma und ein etwas brandiger Grundgeschmack. Trotzdem: lieber eine selbstgemachte Grundsoße mit Schwächen statt eines Fertigprodukts ohne Seele.
Apropos Seele: Das Cordon bleu hat jede Menge davon, vor allem zartes und vor Saft strotzendes Fleisch, milden Schinken und fließenden Käse. Ein knusprig umhüllter Hochgenuss. Doch die Küche kann weit mehr als Zwiebelrostbraten, Schnitzel und Co. Gerade die wechselnden Tagesgerichte offenbaren Ausflüge in die saisonale Küche, die zum Beispiel auch mediterran inspiriert sein dürfen – etwa das Perlgraupenrisotto mit Kürbis und Parmesan für die Fraktion derer, die Tiere lieber streicheln als essen. Die Körner sind schön cremig, das Gemüse hat Biss und der Parmesan rundet den Teller würzig ab.
Zum Abschluss noch ein paar himmlische und damit engelhafte Geschmackseindrücke: Seidenweich schmiegt sich die intensive Süße der weißen Schokoladenmousse an den Gaumen. Einen etwas zu herben Kontrast dazu bilden die Nocken vom Rucola-Apfel-Sorbet. Die Rauke wirkt darin eher derb, sodass sie die Zartheit der Mousse überlagert. Die dazu auf der Karte angekündigten Aprikosen fehlen.
Hübsch ausgewogen ist dafür das Dessert aus einer Kombination von hausgemachtem Joghurteis und Aprikosenkompott. Frisch und mit angenehmer Säure präsentieren sich Joghurt und Obst als ideales Paar. Zwar steckt im Engel der Teufel an manchen Stellen im Detail. Doch der hohe Grad an Frische und das Bekenntnis zu handgemachtem Essen entschädigen für gewisse Schwankungen.