Gigantismus am Arlberg
Rund um Lech und St. Anton entsteht derzeit das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs
Für gute Skifahrer wird dies schon toll“, sagt Marlies Studenik. Sie arbeitet am 1793 Meter hoch liegenden Arlberg-Pass in einem Kiosk, verkauft dort Souvenirs. Von der Ferne her kann die Frau hören, weshalb ihrer Meinung nach ambitionierte Wintersportler demnächst mehr Freude haben könnten: Der kalte Wind trägt den Lärm einer Seilbahn-Baustelle herüber – Hämmern, das Kreischen von Maschinen. Von der Passhöhe aus ist das Treiben zwar nicht zu sehen. Aber in der Arlberg-Region weiß sowieso jeder, um was es geht: Die dortigen Skigebiete werden verbunden.
Der Lückenschluss betrifft unter anderem das vornehme Vorarlberger Alpendorf Lech. Es hängt dann mit dem jenseits des Passes gelegenen tirolerischen St. Anton zusammen. Dies sind die zwei bekanntesten Orte der künftigen Riesen-Skischaukel. Sie umfasst 305 Pistenkilometer, 200 Kilometer Tiefschneerouten und 87 Aufstiegshilfen. Ein Projekt mit vielen lautstarken Jublern und eher wenigen Gegnern. Das Ergebnis wird das größte zusammenhängende Wintersportgebiet Österreichs sein. Weshalb die Kioskdame Studenik mit ihrem obigen Hinweis auf „gute Skifahrer“recht hat. Um auch den letzten Pistenkilometer nutzen zu können, sollte man flott auf den Brettern unterwegs sein.
Zwei Autominuten westlich der Passhöhe fällt ins Auge, was vorher nur zu hören war: die besagte Baustelle auf einer Hochweide namens Rauz. Auf den ersten Blick wirkt sie, als würde mit viel Beton eine verteidigungsfähige Militäranlage ins alpine Gelände gestellt. Hektisch wieseln Arbeiter herum. Bis zu 200 Betonierer, Elektriker, Schrauber oder Seilbahn-Experten schuften täglich an dem rund 45 Millionen Euro teuren Gesamtprojekt. Es pressiert. Im Frühjahr wurde begonnen. Anfang Dezember zum Saisonauftakt muss alles fertig sein. Ein ambitioniertes Unterfangen. Bisher melden die Verantwortlichen aber: „Alles im Plan.“
Allein auf der Alpe Rauz werden die Talstationen dreier Bergbahnen zusammengefasst. Eine der Aufstiegshilfen existiert bereits. Zwei entstehen gerade. So können Wintersportler künftig von dort direkt zu den weiten Abfahrten am AlbonaGrat hochliften. Entscheidend für den Ausbau der Skischaukel ist jedoch die Bahn in die andere Richtung. Über die Hotel-Siedlung Zürs kann dann Lech erreicht werden – bei ausreichender Kondition darüber hinaus Warth und Schröcken am entfernten Hochtannbergpass.
Flexenbahn heißt das kommende Herzstück des Arlberger Gigantismus. Masten um Masten ziehen sich bereits von der Alpe Rauz die Westflanke des 2719 Meter hohen Trittkopfs empor. Die Stahlseile hängen bereits. Nach einem Grat verzweigt sich die Bahn. Ein Strang führt weiter noch oben zur Trittkopf-Bergstation, der andere aber hinunter an den Rand von Zürs.
Die verschiedenen Fremdenverkehrchefs feiern das Projekt euphorisch. „Die neuen Skilifte erfüllen einen jahrzehntelangen, alten Wunsch unserer Skigäste“, meint etwa Hermann Fercher, Direktor von LechZürs-Tourismus. Für seinen Kollegen Martin Ebster vom Tourismusverband St. Anton „geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung“.
Die Liste der Jubler lässt sich problemlos verlängern. Der Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel spricht von „einer längst überfälligen Skigebietsverbindung“. Nun ist es in der Tat so, dass man als Arlberg-erfahrener Wintersportler in der Vergangenheit eine Verknüpfung vermissen konnte. Es blieb nur die Straße zum langwierigen Hin- und Herwechseln – oder lawinengefährdete Tourenabfahrten. Eine davon darf bloß in Begleitung eines teuren professionellen Skiführers hinunter gewedelt werden. Alles umständlich, beziehungsweise nur für erprobte Tiefschnee-Fahrer machbar. Daran braucht künftig kein Gedanken mehr verschwendet werden.
„Durch die Verknüpfung wird die Attraktivität der Skigebiete am Arlberg weiter gesteigert. Wir rechnen mit zusätzlichen Gästen“, sagt Florian Morscher, Bürgermeister von Klösterle. Zu seinem Verantwortungsbereich gehört auch der gemütliche Ski-Flecken Stuben am Fuß der Vorarlberger Pass-Seite. Die neuen Seilbahnen berühren den Ort direkt. Er dürfte wohl am meisten von dem Projekt profitieren. „Im Moment haben wir bereits wesentlich mehr Übernachtungsanfragen als in der
Ein lang gehegter Traum geht in Erfüllung. Martin Ebster vom Tourismusverband St. Anton
Vergangenheit“, berichtet Thomas Brändle. Ihm gehört das Hotel Post in Stuben, das erste Haus am Platz. Er hat es jetzt umbauen lassen. „Auch im Hinblick auf die Skigebietsverbindung“, sagt Brändle.
Selbst Touristikern, Hoteliers und Skischulen-Betreibern ist jedoch klar: „Jene, die jeden Winkel der Skischaukel nutzen, werden eine Minderheit sein.“Aber mit der reinen Größe des Gebiets lasse sich hervorragend werben, heißt es unter der Hand. Vom Anspruch her sieht sich der Arlberg längst in einer Liga international konkurrierender Wintersportregionen. Noch mehr Pistenkilometer gelten als Wettbewerbsvorteil. Andere Hochburgen des weißen Sports investieren ebenso. In Tirol will sich etwa das Pitztal mit dem Ötztal zum „größten Gletscherskigebiet der Welt“verknüpfen. Die Entwicklung ist rasant. So könnte es sein, dass auch der Arlberg bald nachlegen muss. Planungen dafür gibt es schon. Gedacht ist an eine Verbindung von St. Anton über bisher unberührte Bergregionen hinweg nach Kappl im Paznauntal.
Umweltschützer beobachten die Entwicklung fast schon fassungslos. „Ein schierer Größenwahn angesichts zweifelhafter Klima-Aussichten und einer seit Jahren sinkenden Zahl an Nachwuchs-Skifahrern“, klagt Liliana Dagostin vom österreichischen Alpenverein in Innsbruck. Sie leitet die Abteilung für Raumplanung und Naturschutz. „Gegen das St. Anton-Kappl-Projekt haben wir ein Beschwerdeverfahren eingeleitet“, sagt die Frau. Die Arlberg-Verknüpfung sei vom Alpenverein dagegen hingenommen worden. „Die Umwelteingriffe“, erklärt Dagostin, „sind nicht so schwer wie bei den weiterführenden Plänen nach Kappl. Wir dürfen uns nicht verzetteln.“
Fast schon resigniert wirken die Vorarlberger Grünen. „Wenigstens kommt die Skigebietsverknüpfung ohne neue Pisten aus“, meint Christoph Metzler, Umweltsprecher der grünen Landtagsfraktion. Wobei sich darüber streiten lässt. Die verbindende Flexenbahn wird zwar nicht durch eine Piste ergänzt. Aber auf der anderen Seite der Passstraße im Bereich der neuen Albona-Bahn sind in den vergangenen Jahren Abfahrten hinzugekommen. Für manchen Grund genug, um über eine Trickserei zu spekulieren. Dies tut dann auch die zentrale Vorarlberger Umweltschutzinstanz, bekannt als Naturschutzanwaltschaft. Sie ist eine öffentlich finanzierte, aber unabhängige Stelle und soll Öko-Interessen vertreten. „Wir erleben immer wieder, dass umstrittene Bauvorhaben über Jahre gestückelt und kleingerechnet werden“, berichtet die Leiterin Katharina Lins.
Für sie liegt das Problem in der österreichischen Gesetzgebung. Grob gesagt entfällt bei Projekten, die weniger als fünf Hektar Gelände betreffen, eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die gegenwärtigen Arbeiten am Arlberg berühren zufällig nur 4,91 Hektar. „Uns sind die Hände gebunden“, so Lins. „Es hilft auch nichts, wenn unserer Ansicht nach der landschaftliche Eingriff größer als der Nutzen ist.“Sie hat auch andere Skigebietsverbindungen in Vorarlberg akzeptieren müssen – beispielsweise Mellau-Damüls im Bregenzerwald vor sieben Jahren. „Da war ein ökologisch sehr sensibles Gebiet betroffen“, erinnert sie sich.
Immerhin haben aber auch die potenziellen Wintersportprofiteure zwischen Lech und St. Anton ein Öko-Argument auf ihrer Seite. Durch die Flexenbahn wird nämlich der bisherige Skibustransfer überflüssig. „Wir sparen uns täglich rund 120 Fahrten. Das dient direkt der Umwelt“, betont der St. Antoner Tourismuschef Ebster. Womöglich hilft dies der Gewissensberuhigung nachdenklicher Skifahrer. Bleibt noch die Frage offen, ob man es an einem Tag wirklich quer durchs Skigebiet und zurück zum Ausgangspunkt schafft. Vergangenen Dezember wäre dies ein harter Test auf KunstschneeBändern gewesen. Natürliche Flocken waren zum Saisonauftakt zu wenig vom Himmel gefallen.