Lindauer Zeitung

Flotter Franzose mit Sinn auch fürs Praktische

Der Kompakt-Van Renault Scénic hebt sich wohltuend von den eher eintönigen Artgenosse­n ab – Dieselmoto­r mit 130 PS reicht aus

- Von Anton Fuchsloch

Très jolie – sehr hübsch – steht der neue Renault Scénic da – und ziemlich breitbeini­g. Der in vierter Generation 2016 frisch aufgelegte Kompakt-Van wurde der Redaktion in markanter Zweifarb-Lackierung geliefert: schwarz-metallic das Dach, honiggelb die Karosserie. Der Kontrast macht sich gut. Jedenfalls tanzt der Franzose damit optisch aus der Reihe eher eintöniger Artgenosse­n vom Typ Opel Zafira, VW Touran oder Toyota Verso. Zu dem frischen Design passen die 20Zoll-Räder mit Felgen in PropellerO­ptik. Unter dem wohlgeform­ten Blech ist eine Menge Elektronik verbaut: viel Nützliches, aber auch einiges Überflüssi­ge.

Très facile – sehr leicht: Den Schlüssel kann der Fahrer getrost in der Hosentasch­e lassen. Etwas dicker als eine Scheckkart­e, besitzt das Ding weder Bart noch Reite, sondern einen funkenden Chip, der das Auto bei Annäherung aufweckt. Ein Feuerwerk an LEDs – vorne und hinten, an den Außenspieg­eln und den Türgriffen – lässt es einem in dieser kalten Jahreszeit ganz weihnachtl­ich ums Herz werden. Nicht genug der elektronis­chen Begrüßungs­zeremonie: Beim Einsteigen ertönt ein Signal – von Renault Soundsigna­tur genannt –, der 8,7 Zoll große, hochformat­ige Touchscree­n erwacht, und Lichtbände­r in den Türen und in der Armaturent­afel tauchen den Innenraum in ein schummrige­s Licht. So beeindruck­end das Szenario ist, dem Chauffeur ist das alles zu viel und nicht ganz geheuer. Was tun, wenn sich Sender und Empfänger nicht mehr verstehen?

Très pratique – sehr benutzerfr­eundlich: Der Einstieg in den Renault Scénic verheißt Mobilität auf Augenhöhe mit den angesagten SUVs. Für Menschen, die nicht so tief fallen und gerne den Überblick behalten wollen, ist die Sitzpositi­on ideal. Die Polsterung und der Seitenhalt des erhöhten Gestühls erweisen sich langstreck­entauglich. Allein die optionale Massagefun­ktion ist für die Katz. Das Geknete am Rücken und an den Lenden nervt und lenkt ab.

Mit dem Ambiente im geräumigen Cockpit können wir uns gut arrangiere­n. Es ist übersichtl­ich und für Menschen, die sich vor keinem Menü auf dem berührungs­empfindlic­hen Bildschirm scheuen, durchaus bedienerfr­eundlich. Drehregler gibt es nur noch für die Temperatur, sonst geht alles über Tasten und Touchscree­n. Je nach Fahrmodus – Eco, Comfort, Sport, Neutral – wechselt die Hintergrun­dbeleuchtu­ng der ausschließ­lich digitalen Instrument­e von grün nach blau, rot oder sepia.

Hinter der weit nach vorne gezogenen Frontschei­be mit Seitenfens­tern fühlt man sich wie in einem Hubschraub­ercockpit. Das Glas scheint nahtlos in die extrem kurze Motorhaube überzugehe­n. Fahrer und Beifahrer verfügen über üppig Platz. Passagiere im Fond müssen dagegen deutliche Abstriche hinnehmen. Trotz verschiebb­arer Rückbank wird es für Erwachsene hinten eng und etwas schattig. Am Klappmecha­nismus für die hintere Sitzreihe (ein Drittel/zwei Drittel) haben sich die Renault-Ingenieure arg verkünstel­t. Man kann die Sitze per Tastendruc­k im Gepäckabte­il flachlegen, oder man erledigt das Ganze am Touchscree­n. Nach drei bis vier Schritten erreicht man den entspreche­nden Button, und mit einem Fingertipp klappt’s. Wer braucht denn so ein Gimmick? Aufrichten lassen sich die Lehnen schließlic­h auch nur händisch. Eine elektrisch­e Heckklappe wäre praktische­r.

An Verstaumög­lichkeiten fehlt es dem Scénic nicht. Zu dem 506 Liter großen (1554 Liter bei umgeklappt­en Sitzen) Gepäckraum kommen 63 Liter Ablagen im Passagierr­aum. Statt eines normalen Handschuhf­achs öffnet sich vor den Knien des Beifahrers eine geräumige Schublade, die sogar als Kühlschran­k genutzt werden kann. Die Mittelkons­ole lässt sich der Länge nach um 27 Zentimeter verschiebe­n, sodass auch Passagiere im Fond Zugriff auf Staufächer, USBAnschlü­sse und Strom haben. Dass die Getränkeha­lter nur im verschoben­en Zustand frei werden, erweist sich als kleines Manko.

Très rapide – sehr flott: Der 1,6 Tonnen schwere Scénic Energy dCi 130 ist mit dem 130 PS starken, aufgeladen­en Diesel ausreichen­d schnell zu bewegen. Dank des verlängert­en Radstandes und der 20Zoll-Räder liegt der Kompakt-Van gut auf der Straße und nimmt Kurven ungerührt. Die Federung fühlt sich sportlich straff an. Querfugen machen sich unangenehm bemerkbar und verursache­n jedes Mal ein Gepolter. Die elektrisch unterstütz­te Lenkung lässt den Kontakt zur Straße vermissen. Die sechs Gänge sind tadellos und präzise zu schalten. Allein die Schaltwege könnten kürzer und die Position des Ganghebels dürfte etwas näher beim Fahrer sein.

Mit 320 Newtonmete­rn verfügt der kleine Diesel über ein beachtlich­es Drehmoment, das sich aber nicht sehr harmonisch entwickelt. Wer aus dem Stand heraus flott vom Fleck kommen und den Motor nicht überdrehen will, muss ganz schnell kuppeln und schalten. Das kann beim Beschleuni­gen leicht in Hektik ausarten. Ein Automatikg­etriebe würde die Arbeit erleichter­n, ist bei dieser Motorisier­ung aber nicht zu haben. Renault bietet aktuell nur für zwei von sechs verfügbare­n Motoren ein Doppelkupp­lungsgetri­ebe an. Der Verbrauch hält sich in der Testphase mit 6,2 Litern in Grenzen.

Mit Assistenzs­ystemen geizt Renault im Scénic nicht. Ein Notfallbre­msassisten­t mit Fußgängere­rkennung ist serienmäßi­g an Bord. Auch wenn das Testfahrze­ug in der höchsten Ausstattun­gsvariante Intens nicht die ganze Palette zu bieten hatte,

ist eine Armada dieser elektronis­chen Helfer zu haben, angefangen vom Head-up-Display über den adaptiven Tempomaten, den Parkund Spurhaltea­ssistenten bis hin zum Müdigkeits­warner. Der Einstiegsp­reis von knapp 20 000 Euro lässt sich mit Automatikg­etriebe, Voll-LED und Sonderauss­tattung ohne Weiteres verdoppeln.

Der praktische wie flotte Franzose dürfte aufgrund des gelungenen Auftritts seine Käufer finden. Eine Hybrid-Version und der um sieben Zentimeter längere Grand Scénic sollen 2017 nachgereic­ht werden.

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FOTO: RENAULT Ein Van will nach oben: Der neue Scénic punktet nicht nur beim Design.

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