Der Meister des permanenten Stilbruchs
Künstler Gerhard Richter wird 85 Jahre alt
Jedes Mal, wenn man Gerhard Richter gegenübersteht, staunt man. Das ist nun „Europas größter Maler“, wie ihn die „New York Times“nennt? Der teuerste Künstler? Der einflussreichste Maler? Der Mann selbst bildet den größtmöglichen Kontrast zu all diesen Superlativen. Unscheinbar ist er. Klein, schmal, gepflegter Dreitagebart, dunkles Sakko und schlichte Brille. So einer, an dem man vorbeiläuft. Im persönlichen Gespräch gibt er sich charmant und redselig. Wenn man ihn allerdings auf seine Bilder anspricht, schweigt er beharrlich. Zu seinen Werken will er lieber nichts sagen. Richter mag es nicht im Mittelpunkt zu stehen, auch nicht mit 85 Jahren. Am heutigen Donnerstag feiert er Geburtstag.
Bunt, grau, verwischt – und zufällig. „Ich bin fasziniert vom Zufall. Es ist fast alles Zufall: Wie wir beschaffen sind, warum ich nicht in Afrika geboren bin, sondern hier – alles Zufall“, sagte Richter im September 2016. So verlief auch die Gestaltung seines berühmten und viel diskutierten Fensters im Kölner Dom: Rund 11 000 farbige Quadrate schmücken das sogenannte Richterfenster. Es ist so facettenreich und undurchschaubar wie das Gesamtwerk seines Schöpfers.
Grelle Farben und graue Töne, fotorealistische Gemälde und abstrakte Werke säumen seinen verschlungenen Weg zu einem der international bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Er beginnt 1932 in Dresden, wo Richter später auch an der Staatlichen Kunsthochschule studiert. Während er noch für das DDR-Regime Wandbilder im Stil des Sozialistischen Realismus malt, lernt er auf der documenta 2 in Kassel Action Painter wie Jackson Pollock kennen.
Er belebt alte Genres
Als er keine Möglichkeit mehr sieht, sich weiterzuentwickeln, flieht er 1961 in den Westen. An der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf sucht er einen Neubeginn – in einer Zeit, in der viele Künstler vom Ende der Malerei sprechen. Richter entwickelt eine Malerei, „die sich als Fotografie neu erfindet“, so der Leiter des Dresdner Richter-Archivs und Richter-Biograf Dietmar Elger. Fotos und Zeitungsausschnitte dienen ihm als Vorlagen für realistische Ölgemälde.
Landschaften in der Tradition der Romantik, Wolkenbilder und Seestücke, Stillleben und Porträts entstehen. „Richter rettet die gegenständliche Malerei in die Zeit der Fotografie und belebt alte Genres“, sagt die Leiterin der grafischen Sammlung im Kölner Museum Ludwig, Julia Friedrich. Dort befindet sich auch eines von Richters berühmtesten Werken, der in zarten Gelb- und Brauntönen gemalte Akt „Ema“. Im Gemälde von 1966 steigt Richters erste Ehefrau eine Treppe hinab. Wie die meisten Porträts ist es unscharf gemalt, die Farben sind verwischt.
Dieses Verfahren übernimmt Richter auch für seine abstrakten Bilder. In seinem Atelier trägt er reine Farben auf meterhohe Leinwände auf. Schicht für Schicht. Dabei vermischen sich die Töne. Willkür, Zufall, Verschleierung und Zerstörung sind seine Gestaltungsprinzipien, die Richter einmal mit den Worten „alles sehen, nichts begreifen“erklärte.
Auch dem Kölner Domfenster hatte er kein spezifisch religiöses Konzept zugrunde gelegt. Kardinal Joachim Meisner kritisierte 2007, das Fenster würde „eher in eine Moschee oder ein anderes Gebetshaus“als in die gotische Kathedrale passen. Das Domkapitel entschied sich dennoch für den abstrakten Entwurf. In seiner Widersprüchlichkeit und Unbegreiflichkeit ist dieser vielleicht gar nicht so fern von den Gläubigen, die unter dem Fenster mit Gott ringen.
Werke bringen Millionen ein
„Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen“, formulierte Richter 1966 sein künstlerisches Konzept. In den Bildern spiegle sich nichts Persönliches, betonte der öffentlichkeitsscheue Maler wiederholt, der in dritter Ehe verheiratet ist. So erklärte denn auch Kurator Klaus Honnef 1969 den permanenten Stilbruch zu Richters Stilprinzip. Seine Malerei sei widersprüchlich und unentschieden, so Honnef. Andere Kritiker bezeichnen Richter gar als „Chamäleon“.
Auf dem Kunstmarkt bringen seine Werke längst Millionen ein. 2011 wurde sein 1982 entstandenes Bild „Kerze“für fast zwölf Millionen Euro verkauft, sein „Abstraktes Bild 849-3“für rund 15 Millionen versteigert. Damit gehört Richter zu den teuersten Malern der Welt. In internationalen Rankings führt er seit Jahren die Liste der wichtigsten zeitgenössischen Künstler an. Für seinen Wohlstand hat Richter ein Leben lang hart gearbeitet. Und tut es noch immer. Jeden Tag steht er im Atelier in Köln.