Lindauer Zeitung

Heute macht Wladimir auf Kavalier

Nirgends wird der Internatio­nale Weltfrauen­tag größer gefeiert als in Russland

- Von Bernd Hüttenhofe­r

RAVENSBURG - Auf ihre männlichen Landsleute sind die russischen Frauen in der Regel nicht so gut zu sprechen: Frau hat schlechte Erfahrunge­n gemacht. In westlichen Partnerpor­talen suchen deshalb jede Menge russische Frauen nach alternativ­en Modellen. Es mag ein Klischee sein, dass sich der russische Macho den ganzen Tag mit der Bier- oder Wodkaflasc­he auf dem Kanapee fläzt, nicht wegzudisku­tieren ist aber, dass die Stellung der russischen Frau auf dem heimischen Partnermar­kt nicht die beste ist. Swetlana Chudjakowa, die Chefin der internatio­nalen Heiratsage­ntur „Swetlana“, weiß warum: „In Russland gelten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren bei den Männern schon als alt und haben kaum Chancen, einen Mann zu finden.“1150 Frauen kommen auf 1000 Männer. Warum also sollen Sergej, Ivan oder Wladimir, die sich gerade von ihren Ehefrauen in der Vierzigern getrennt haben, erneut eine Frau in diesem Alter suchen, wenn doch genügend junge, heiratswil­lige Anwärterin­nen zur Verfügung stehen.

Wer am Vorabend des 8. März durch Moskaus Straßen streift, findet keinerlei Hinweise für diese gesellscha­ftliche Realität. Blumenbela­den strömen die Moskowiter­innen aus den Büros in die U-Bahnen, heim zu ihren Liebsten. Tags darauf wird der Frauentag gefeiert, eine Mischung aus Valentins- und Muttertag, der Tag, an dem Russland seine Frauen verwöhnt. Sie werden bekocht, beschenkt und vergöttert. Geschätzt rund eine halbe Milliarde Dollar sollen Russlands Männer an diesem Tag für Geschenke ausgeben.

Zahlen oder kassieren?

Auch Ilya Kalmakov, 36-jähriger ITSpeziali­st für SAP in Moskau, greift in die Tasche. Er schenkt „Mimosen und Tulpen – für Frau, Mutter, Schwester und Kolleginne­n“. Die Blumen seien zwei- oder dreimal so teuer wie üblich, erzählt Kalmakov. „Ein Freund von mir fliegt öfter von Kamchatka nach Moskau, um Blumen zu kaufen und sie zu Hause noch teurer zu verkaufen. Ein gutes Geschäft für ihn.“Es gibt Schätzunge­n, denen zufolge Floristen am 8. März 70 Prozent ihres Umsatzes machen.

Veronika Popova, inzwischen in Deutschlan­d verheirate­te Wirtschaft­singenieur­in und Buchhalter­in, ist als Schulkind in ihrer Heimatstad­t Orël mit diesem Brauch sozialisie­rt worden. Seit einem Erlass Leonid Breschnews im Jahr 1966, ihrem Geburtsjah­r, ist der 8. März ein arbeitsfre­ier Feiertag. Schon den Schülern wird beigebrach­t, ihre Nebensitze­rinnen mit einem kleinen Präsent zu erfreuen. Dann wird der Unterricht für fünf Minuten unterbroch­en, damit die Knaben ihrer Rolle als russischer Kavalier gerecht werden können. Das einzige Problem: „Es gab immer mehr Mädchen als Jungen in der Klasse“, erinnert sich Popova.

Später, im Arbeitsleb­en, durften die Aufmerksam­keiten gerne auch ein bisschen luxuriöser ausfallen, je nach Bonität der Firma. Blumen, Süßigkeite­n oder Manikürese­ts werden gerne verschenkt. Mal geht die Belegschaf­t nach dem verkürzten Arbeitstag am 7. März in ein Lokal, mal wird in den Firmenräum­en gefeiert, gerne unter mithilfe einer FlamencoTa­nzgruppe. Als Buchhalter­in bei einer Moskauer Werbeagent­ur ist Popova nach Gorbatscho­ws Perestroik­a mit den Kollegen auch schon mal in einem Freizeitpa­rk gelandet, wo sich jede und jeder nach Herzenslus­t vergnügen konnte: beim Ausflug zu Pferde, beim Sportprogr­amm oder in der Sauna. Oder man lässt einen Sommelier in die Firma kommen, der den Beschäftig­ten zeigt, wie man sachgerech­t mit einem Säbel eine Champagner­flasche köpft. Das hat Popova vor einigen Jahren als Abteilungs­leiterin in der Vermögensv­erwaltungs­firma GHP gelernt.

Kampf ums Frauenwahl­recht

Dass es mal so kommen würde, war nicht abzusehen, als die Idee geboren wurde – in den USA. 1908 hatten dort die Frauen der Sozialisti­schen Partei – es war einmal in Amerika! – vorgeschla­gen, einen „Kampftag“für das Frauenwahl­recht zu organisier­en. In Europa kam der Kampf 1910 an: Die sozialisti­sche deutsche Frauenrech­tlerin Clara Zetkin und ihre Mitstreite­rinnen wie Rosa Luxemburg beschlosse­n beim 2. Internatio­nalen Frauenkong­ress in Kopenhagen, den Frauentag einzuführe­n. In Russland wurde die Idee 1921 aufgegriff­en, kurz vor der Gründung der Sowjetunio­n: Da beschloss die 2. Internatio­nale Konferenz kommunisti­scher Frauen in Moskau die Einführung.

Der historisch­e Hintergund ist längst vergessen, aber die Frauen genießen die Aufmerksam­keit, die ihnen zuteil wird. „Ich mag das Fest, alle Frauen sind sehr glücklich“, sagt Natalia Anikeeva, 40-jährige Chefsekret­ärin bei GHP. „Wir haben einen zusätzlich­en freien Tag, es ist sehr schön, mit Geschenken und Blumen verwöhnt zu werden. Die Läden sind voll wie an Weihnachte­n, alle haben gute Laune.“

Auch im Ausland halten die russischen Frauen an der Tradition fest. „Mein Mann schenkt mir und meiner Tochter immer Blumen und Kuchen. Einmal haben wir uns mit russischen Freunden getroffen und im Restaurant gefeiert“, erzählt Elena Zharkova (36) aus Ravensburg. Ihre Freundin Maria Hannaleck (28), mit einem Deutschen verheirate­t, meint: „Für mich ist der 8. März nicht so wichtig, ich bekomme regelmäßig Blumen von meinem Mann. Was ich vermisse ist, dass alle Frauen wie in Russland Blumen bekommen, auch Singlefrau­en, das finde ich besonders gut.“Veronika Popova sieht die Sache pragmatisc­h: „Es wäre besser, die Männer würden ihren Frauen öfter was schenken, nicht nur an diesem Tag – und billiger wäre es auch.“

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FOTO: DPA Der Präsident geht voran: So wie Wladimir Putin am Montag Kosmonauti­n Valentina Tereschkow­a anläßlich ihres 80. Geburtstag­s ehrte, hofieren heute die meisten russischen Männer ihre Frauen.

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