Wie ein Gedicht zum Kunstwerk wird
Antonie Schneider hat einen Lobgesang auf Urgärten geschrieben – Daraus wurde nun ein wunderschönes Buch
WEILER - Vielleicht ist dieses Buch die Krönung im Schaffen der Autorin Antonie Schneider. Es heißt „Hillel, lied der gärten“und verdichtet all das, was ihr bedeutsam ist. „Hillel“stammt aus dem Hebräischen und bedeutet Lobgesang. Vier Strophen umfasst Schneiders Lobgesang. Das Gedicht beschreibt die kleinen Dinge und das große Ganze. Den Urgarten und seine Bewohner, seine Düfte und Geräusche. Die Verse spüren dem Entstehen, Welken, Wiederkehren nach.
Doch die Worte und Sätze allein machen das Hillel nicht aus. Getragen wird das kostbare, in der kleinen Auflage von 77 Exemplaren erschienene Werk von der inneren Verbindung dreier Frauen: Wie Fäden laufen die Inspirationen der vor allem als Kinderbuchautorin bekannten Antonie Schneider aus Weiler, der Wiener Künstlerin Angelika Kaufmann und der vielfach ausgezeichneten österreichischen Schriftstellerin Friederike Mayröcker hier zusammen.
Wie wogende Webmuster
60 Bücher mit Übersetzungen in 17 Sprachen hat Antonie Schneider bereits veröffentlicht. Doch neben Sprache und Poesie faszinieren die mehrfach ausgezeichnete Autorin auch Kunst und Musik. All diese Künste liebt sie auch in der abstrakten Form, lässt sich etwa von Neuer Musik gefangen nehmen oder beim Schreiben vom Dadaismus beeinflussen. All das schwingt auch beim Hillel mit. Das exquisite Buch besteht aus gerissenem, von Hand gebundenem Büttenpapier, dazwischen eingefügt sind Transparentpapierblätter mit Skripturen von Angelika Kaufmann. Wie wogende Webmuster spiegeln die durchscheinenden, seitenfüllenden Schriftbilder die Lebendigkeit des Textes wider - mit mal ruhigem, mal wildem oder flirrendem Grundrhythmus und einer fast schon plastischen Tiefe.
Die Illustration durch Angelika Kaufmann ist für Antonie Schneider wesentlicher Teil ihres Werks. Kaufmann forme den Raum, den sich ihr Gedicht sucht, sagt die 62-Jährige. „Wie ein Humus“sei der Text entstanden – über eine lange Zeit. Er enthält Lebensfragen und -erfahrungen, auch Verluste. Das Hillel ist Menschen gewidmet, die Antonie Schneider teuer waren und nicht mehr leben. „Gärten, Tod und Schönheit: All das war für mich immer verbunden“, sagt sie.
Schon einmal illustrierte die heute 81-jährige Künstlerin Angelika Kaufmann ein Buch der Westallgäuerin: „Rosalinas Buch vom Glück“. Auf die Skripturen für das Hillel stieß Antonie Schneider bei einem Atelierbesuch in Wien: Große Bahnen handbeschriebenen Papiers lagen, teils in Fetzen, auf dem Boden. Wie die Webfäden einer raffinierten Textur erschienen ihr diese Schriftbilder, die – welch eine Überraschung – Gedichte von Friederike Mayröcker füllten, also der heute 92-jährigen Autorin, die Schneider schon als Teenager bewundert hat.
Aus Bruchstücken der Papierbahnen wählte Kaufmann 16 Blätter aus, die mit dem Fluss in Schneiders „lied der gärten“korrespondieren. Gemeinsam arbeiteten die Dichterin und die Künstlerin an der Form, ordneten die Bilder an und entfernten Satzzeichen, um das Fließende des Textes zu unterstützen. Der idealistische Verleger Josef Kleinheinrich aus Münster ließ sich begeistern von dem Drei-Frauen-Werk und entschloss sich, es als bibliophiles Kunstbuch herauszubringen.
Wovon nun erzählt das „Hillel, lied der Gärten“, das zum unvergleichlichen Kunstwerk wird durch die Poesie des Textes, die Schönheit der Kalligrafie, die Weichheit des Bütten, das Durchscheinen der Buchstaben, den Geruch der Tinte – und das Zusammenspiel von allem? „Es handelt von einer Pilgerschaft, vom Finden und Suchen, von Abschied und Heimkehr“, sagt Antonie Schneider. Ein Auszug: „während der flug der träume über fremde gärten streift; und ich das unaufhörliche fließen vernehme und das amsellied; und die courage nicht verlorengeht; und das mitleid gras darüber wachsen lässt; über narben und wunden die zu nässen aufgehört haben; denke ich ans schäfchen zählen im gras unter den wolken.“
Gärten, so erklärt Antonie Schneider, bilden als Sinnbild für das Paradies im Konkreten, Praktischen, das ab, was philosophische und theologische Diskurse zu beschreiben versuchen. Die Poetin macht solche Weisheit in der meditativen Melodie ihrer Lyrik fühlbar, wenn sie im unermüdlichen Benennen von Bäumen, Blumen, Insekten und Vögeln den Fluss des Lebens rauschen, die Träume blühen, die Erinnerungen wandeln lässt und zugleich Begegnetes, Ersehntes und Erkanntes schildert. Dass dies gelungen ist, erfüllt die Dichterin mit Glück. Sie sieht es als Glück einer Fügung: der Begegnung dreier Frauen, die ihr Leben dem Schöpferischen verschrieben haben.