Lindauer Zeitung

Andere Eltern, andere Sitten

Wenn Kinder auswärts übernachte­n – Tipps von Erziehungs­experten

- Von Olivia Konieczny, dpa

Früher oder später will fast jedes Kind bei einem Freund oder einer Freundin übernachte­n. Zu erleben, wie es in anderen Familien zugeht, fördert die Entwicklun­g, sagen Erziehungs­experten. Eltern sollten im Vorfeld einige Dinge klären – aber bloß nicht alles durchplane­n. Ein Gelassenhe­itsleitfad­en in Form von Fragen und Antworten.

Mit wie vielen Jahren können Kinder woanders schlafen?

Das Alter ist nicht ausschlagg­ebend. Wichtiger ist die Frage, wo das Kind übernachte­t und ob es Erfahrunge­n damit hat: Hat es schon einmal bei Oma und Opa geschlafen, bevor es zur Kita-Freundin geht? Übernachte­t es beim Nachbarski­nd, bei dessen Familie es täglich ein- und ausgeht? „Es gibt Fünfjährig­e, für die ist es völlig normal, woanders zu schlafen, und andere, die tun sich damit schwer“, erklärt Ulric Ritzer-Sachs von der Online-Beratung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (bke). Das hängt auch davon ab, wie normal das Auswärtsnä­chtigen in einer Familie ist.

Woran merke ich, dass mein Kind bereit dafür ist?

Die Pädagogin Heidemarie Arnhold rät Eltern, zu schauen, wo ihr Kind entwicklun­gspsycholo­gisch steht: „Fremdelt es gerade stark, ist das kein guter Zeitpunkt“, sagt die Vorsitzend­e des Arbeitskre­ises Neue Erziehung (ANE) in Berlin. „Wenn Kinder den Wunsch äußern, woanders zu schlafen, dann sind sie auch alt genug dafür.“Wichtig ist, dass die Initiative vom Kind ausgeht: „Niemand sollte sein Kind drängen, woanders zu übernachte­n“, sagt der Familienbe­rater Jan-Uwe Rogge. Wenn Sohn oder Tochter es jedoch wünschen, sollte man darauf eingehen.

Bei wem kann ich mein Kind übernachte­n lassen?

„Die zentrale Frage ist: Haben Sie Vertrauen zu dieser Person oder Familie?“, sagt Arnhold. Gut sei, wenn

man die Leute bereits kenne – aus Sportverei­n, Nachbarsch­aft, Kindergart­en oder Schule. Immerhin gibt man die Aufsichtsp­flicht an andere ab. „Das ist nichts, was man schriftlic­h festhalten muss, aber man sollte es sich klarmachen“, sagt Arnhold. Eltern brauchen ein gutes Gefühl.

Sind Eltern verrückt vor Sorge, steckt das die Kinder an.

„Ich sollte mich aber auch mal hinterfrag­en“, gibt Ritzer-Sachs zu bedenken. „Bin ich vielleicht übervorsic­htig?“Und Arnhold ergänzt: „Fragen Sie sich, warum Sie ein ungutes Gefühl haben. Geht es zum Beispiel

um Sauberkeit, kann man auch mal ein bisschen toleranter sein.“Hat man aber kein Vertrauen zu den anderen Eltern oder sieht gar das Kindeswohl in Gefahr, sei das ein Grund, das Übernachte­n nicht zu erlauben.

Was müssen Eltern im Vorfeld klären?

Laut Rogge sichern Sie ihrem Kind am besten zu, dass es immer anrufen kann. „Und geben Sie ihm etwas Vertrautes mit, ein Kuscheltie­r, das Lieblingsk­issen“, rät der Buchautor. Arnhold empfiehlt, das Übernachte­n durch gemeinsame Aktivitäte­n vorzuberei­ten. Besprechen sollten Eltern

Besonderhe­iten, etwa ob ein Kind Allergien oder Unverträgl­ichkeiten hat oder Tabletten einnehmen muss. „Bei allem anderen würde ich mich nicht einmischen.“RitzerSach­s rät: „Reden Sie vorher mit den anderen Eltern. Fragen Sie sie, was Sie Ihrem Kind mitgeben müssen, etwa einen Schlafsack, und tauschen Sie Nummern aus.“Das reiche dann aber auch. „Inspiziere­n Sie nicht vorher die Wohnung!“

Wie schaffen es Eltern, gelassen zu bleiben?

„Man muss nicht alles bereden“, sagt Rogge. „Kinder finden andere Eltern toll, eben weil sie anders sind.“Laut Arnhold ist es wichtig, wenn Kinder erleben, dass etwas anders sein kann als zu Hause: „Das auswärtige Übernachte­n ist wunderbar für die Entwicklun­g.“Kinder sammeln mit unterschie­dlichen Menschen unterschie­dliche Erfahrunge­n. Wenn das Kind später schlafen geht oder Fast Food zu essen bekommt, ist das laut Ritzer-Sachs kein Drama: „Hauptsache, die Familie ist kinderfreu­ndlich, und die Kinder haben Spaß. Alles andere ist dann eben mal anders.“

Sollte man sich im umgekehrte­n Fall aufs Gastkind vorbereite­n?

Andersheru­m müssen Eltern keinen Aufwand betreiben, wenn sie ein Gastkind zu Hause haben: „Leben Sie einfach Ihr normales Familienle­ben weiter“, sagt Arnhold. Eltern sollten das gegenseiti­ge Übernachte­n als Entlastung betrachten: „Freuen Sie sich, wenn Ihr Kind mal woanders schläft, und genießen Sie die Zeit.“Allen ist geholfen, wenn es zu einem Geben und Nehmen wird.

Was tun bei Zoff, Heimweh oder Krankheit?

Streiten die Kinder, gilt es abzuwägen, ob man einschreit­en muss. „Sie können fragen, was passiert ist, und vermitteln. Meist vertragen Kinder sich aber schnell wieder“, sagt Ritzer-Sachs. Anders sieht es aus, wenn ein Kind Heimweh bekommt. Hier ist Einfühlung­svermögen gefragt: „Trösten Sie es, nehmen Sie es in den Arm, geben Sie ihm ein Kuscheltie­r“, rät der Experte. „Und wenn es gar nicht anders geht, lassen Sie es seine Eltern anrufen.“Wird ein Kind krank, kommt es auf die Situation an: „Sind seine Eltern verreist, muss man damit leben. Ist es das Nachbarski­nd, und die Eltern sind da, kann man es zurückbrin­gen“, sagt Arnhold. Denn kranke Kinder wollen meist nur eines: bei ihren Eltern sein.

 ?? FOTO: DPA ?? Bei einer Freundin oder einem Freund zu übernachte­n und das andere Familienle­ben mitzubekom­men, ist für Kinder eine wichtige Erfahrung. Drängen sollte man sie dazu aber nicht.
FOTO: DPA Bei einer Freundin oder einem Freund zu übernachte­n und das andere Familienle­ben mitzubekom­men, ist für Kinder eine wichtige Erfahrung. Drängen sollte man sie dazu aber nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany