Brennpünktchen Bahnhof
Nach Bürgerbeschwerden über Flüchtlinge setzt die Polizei auf Schwerpunktkontrollen
FRIEDRICHSHAFEN - Mit Schwerpunktkontrollen hat die Polizei auf Beschwerden von Häfler Bürgern reagiert, die sich am Stadtbahnhof offenbar zunehmend unsicher fühlen. Es soll einen Zusammenhang mit dem Verhalten „jüngerer Männer arabischer Herkunft“– also Flüchtlingen – geben. Dass echte Gefahr besteht, verneint die Polizei jetzt sogar selbst.
Die Meldung vom Mittwoch dieser Woche klang drastisch. Bei insgesamt vier größeren Kontrollaktionen zu Jahresbeginn am „Brennpunkt“Stadtbahnhof haben Landes- und Bundespolizei gemeinsam mit dem Zoll 460 Personen und die Passagiere von acht Fernbussen überprüft. Dabei kam es zu einer Festnahme, fünf Drogenfunden – darunter Marihuana – vier Verstößen gegen das Waffengesetz und dem Aufgriff von zwei Menschen, die offenbar gegen Aufenthaltsgesetze verstoßen hatten. Anders ausgedrückt: Zwölf von gut 500 überprüften Menschen hatten Dreck am Stecken, wie der Volksmund sagt.
Grund für die Aktion war laut Polizei ein Brief der Stadt Friedrichshafen an den Präsidenten des Polizeipräsidiums Konstanz. Darin wurden laut eines Sprechers Beschwerden von Bürgern vorgebracht. Sie würden sich am Stadtbahnhof in Friedrichshafen zunehmend unsicher fühlen. „Das Polizeipräsidium Konstanz nahm dies zum Anlass, um im Rahmen der Sicherheitskooperation Baden-Württemberg mit seinen Partnern den Bahnhofsbereich verstärkt zu überwachen“, so die Bundespolizei.
Sind Flüchtlinge oder „Männer arabischer Herkunft“am Stadtbahnhof also ein Sicherheitsproblem, wie die Meldung suggeriert? Das glaubt offenbar nicht einmal die Polizei selber: Im Mittelpunkt der Kontrollaktionen stehe mehr ein „subjektives Sicherheitsempfinden“, sagen auf SZ-Nachfrage sowohl ein Sprecher der Polizeidirektion in Konstanz als auch sein Kollege der Bundespolizei. Auch auf Nachfrage können die Beamten keinen konkreten Fall nennen, in dem es ernsthaft zu Auseinandersetzungen oder Zwischenfällen zwischen Häfler Bürgern und Flüchtlingen am Stadtbahnhof gekommen sein soll. Vielmehr solle die sichtbare Präsenz der Polizei dafür sorgen, dass Bürger sich einfach sicherer fühlen.
Ein Besuch vor Ort verstärkt den Eindruck, dass der „Brennpunkt Stadtbahnhof“eher ein Brennpünktchen sein dürfte. Es ist Donnerstagmittag, direkt vor dem Eingangsportal drängen sich die Massen – kein Wunder, die Schule ist aus. Hunderte Schüler aus der ganzen Stadt fahren zu dieser Zeit nach Hause. Was auffällt: Die Zahl der Gesichter mit dunkler Hautfarbe oder längeren Bärten ist tatsächlich höher, als sie dies vor wenigen Jahren gewesen sein dürfte. Syrer, Nigerianer, Afghanen drängen sich auch auf der Bahnhofstreppe, plaudern, hören Musik, tippen auf ihren Handys herum – ganz so, wie es etliche deutschstämmige Schüler auch tun. Es herrscht ein Gewusel und Gedränge unterschiedlicher Menschen: „Und viele Einwohner von Friedrichshafen haben das so noch nicht erlebt“, erklärt Detlef Luf.
Am Bahnhof gibt es Gratis-WLAN
Der Mann weiß, wovon er spricht. Als Leiter der Bahnhofsmission vor Ort erlebt er jeden Tag, was zwischen Zügen und Bussen am zentralen Verkehrsknotenpunkt Friedrichshafens passiert. „Natürlich sammeln sich die Flüchtlinge gehäuft am Bahnhof“, erklärt er die Lage. Erstens seien viele Schulpflichtige unter ihnen, die irgendwann nach Hause wollten. Zweitens seien Flüchtlinge mangels Auto und Co. auch zu anderen Tageszeiten mehr als andere auf Bus und Bahn angewiesen. Und noch ein Punkt sorgt dafür, dass der Bahnhof derzeit ein Multikulti-Treffpunkt ist: Gratis-WLAN. Weil es in Flüchtlingsunterkünften von Stadt und Kreis oft daran mangele, würden viele das Internet am Bahnhof nutzen, um Kontakt in die Heimat und zu Familie und Freunden zu halten, berichtet ein junger Mann vor Ort auf Nachfrage.
„Es ist immer leichtfertig über andere Menschen zu urteilen. Aber ich habe noch nicht erlebt, dass einer hier mit Absicht pöbelt“, sagt Detlef Luf. Er will aber nicht verleugnen, dass sich die oft jungen Flüchtlinge gerne am Bahnhof treffen, dort Spaß unter Freunden machten, auch mal zu laut seien: „Auf viele Menschen, gerade ältere Mitbürger, kann das bedrohlich wirken“, räumt er ein. Einen echten Grund für Angst gebe es aber nicht.
Letzteres stimmt den Chef der Bahnhofsmission nachdenklich: Während man eine angebliche Gefahr durch Flüchtlinge übermäßig betone, würden viele Menschen übersehen, was es sonst am Bahnhof für Probleme gebe: junge Deutsche, die sich nahe der Gleise mit Wodka vom nahegelegenen Supermarkt betrinken würden. Oder Wildpinkler, die selbst vor der Tür der Bahnhofsmission nicht Halt machen würden. Dagegen gab es bislang wohl keine koordinierten Polizeieinsätze.