Angeklagter soll Selbstmord seiner Frau vorgetäuscht haben
Beginn des Prozesses gegen 46-Jährigen aus Berg im Landkreis Ravensburg
- Landgericht Ravensburg, am Mittwoch um 13.30 Uhr: Eine halbe Stunde vor dem offiziellen Prozessbeginn stehen die Menschen vor dem Sitzungsaal 1 Schlange. Der Raum ist schon jetzt bis auf den letzten Platz besetzt. Justizbeamte stehen an der Eingangstür und sorgen für Ordnung. Oberstaatsanwalt Alexander Boger bahnt sich seinen Weg durch die Menge. Im Schlepptau folgt ihm Jürgen Caillet, der Vertreter der Nebenklage. Mit Verspätung trifft der Angeklagte ein. Er trägt ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose. Die Fußketten schleifen über den Boden. Ein Kamerateam macht Filmaufnahmen, Fotografen schießen Bilder. Der Angeklagte hält sich einen blauen Schnellhefter vor das Gesicht und setzt sich neben seinen Anwalt Hans Bense. Die anwesende Öffentlichkeit tuschelt. Die meisten kommen aus der Gemeinde Berg, kennen den Angeklagten, seine drei Kinder und die Ehefrau – die der 46Jährige in den frühen Morgenstunden des 9. Juli letzten Jahres ermordet haben soll.
Eine zerrüttete Ehe
Oberstaatsanwalt Alexander Boger verliest die Anklageschrift. Nach über 15 Jahren Ehe hätte es 2014 ernsthafte Beziehungsprobleme gegeben. Der Angeklagte habe seiner Frau Affären mit anderen Männern unterstellt und ihr vorgeworfen, eine sexuelle Beziehung mit ihrem eigenen Vater zu haben. Knapp ein Jahr später habe er die Vaterschaft seiner Kinder angezweifelt und behauptet, die Kinder stammten aus dem Verhältnis seiner Frau zu ihrem Vater. Er habe Strafanzeige erstattet und einen Vaterschaftstest verlangt. Tatsächlich habe dieser Test jedoch ergeben, dass er eindeutig selbst der Vater seiner drei Kinder sei. Im November 2015 soll er dann Ansprüche auf das Grundstück angemeldet haben, das bislang im Grundbuch auf seine Frau eingetragen war. Anfang 2016 habe sich das Paar endgültig getrennt. Danach habe es weitere Streitigkeiten um das Aufenthaltsrecht der gemeinsamen Kinder und um Unterhaltszahlungen gegeben.
Schon seit 2011 sei die Firma des heute 46-Jährigen in einer finanziellen Schieflage gewesen. Eine Trennung von seiner Frau hätte – so die Ausführungen der Staatsanwaltschaft – für den Angeklagten einen dauerhaften finanziellen Nachteil bedeutet. „Was willst du?“, habe er in einer WhatsApp-Nachricht an seine Frau geschrieben. „Das Haus, die Kinder?“- „Das Haus, die Kinder und dass du verschwindest“, habe sie darauf geantwortet. Danach habe der 46-Jährige den Entschluss gefasst, seine Frau zu ermorden und einen Selbstmord zu inszenieren, so die Anklage. Denn neben dem Haus, das er in diesem Fall überschrieben bekommen hätte, wäre ihm auch eine Risikolebensversicherung in Höhe von über 50 000 Euro ausgezahlt worden. Die vertraglich fixierte Drei-Jahres-Fristsperre im Falle eines Suizids seiner Frau sei ihm bekannt gewesen.
Einen Tag vor der Tat habe der 46-Jährige seine Kinder zu einem gemeinsamen Wochenende im elterlichen Haus in Berg abgeholt. In seinem Skoda seien sie in das Hotel Victory Erdinger Therme gefahren. Gegen 0.20 Uhr habe der Angeklagte allerdings das Hotelzimmer verlassen und sei nach Berg zurückgefahren, wo er gegen 2.30 Uhr angekommen sei. Durch die Garagentür des Hauses sei er in die Wohnung eingestiegen und habe seine schlafende Frau zumindest bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Danach habe er sie in den Keller geschleift, ihr einen Kälberstrick um den Hals gelegt, sie an einem Heizungsrohr aufgehängt und habe so den Selbstmord zu inszenieren versucht. Nach der Tat, gegen 3.30 Uhr, habe er sich auf den Weg zurück ins Hotel Victory Erdinger Therme gemacht, wo immer noch seine Kinder schliefen. Gegen sechs Uhr morgens sei er schließlich dort angekommen. Am 10. Juli, also einen Tag später, fand der Vater der Frau seine Tochter in dem Kellerraum. Fünf Tage später nahm die Polizei den 46-Jährigen fest.
Nur bedingte Aussagen
Die Anklage lautet deshalb auf Mord, weil die Staatsanwaltschaft die Mordmerkmale Habgier und niedrige Beweggründe erfüllt sieht. Der Angeklagte brauchte Geld, sei planmäßig vorgegangen und habe die Tat als Selbstmord inszeniert.
Zum Tathergang wollte der Angeklagte am ersten Prozesstag keine Angaben machen. „Vorerst nicht“, wie sein Verteidiger Hans Bense betonte. Er verwies dabei vage auf grobe Ermittlungsfehler, die insbesondere die finanzielle Situation seines Mandanten betreffen würden. Auch zu seiner Person wollte der 46-Jährige nur bedingt Aussagen machen. Sichtlich verunsichert, was er nun sagen darf und was nicht, antwortete er auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Jürgen Hutterer. Der betonte mehrmals, dass die Kammer an der Aufklärung des Falles interessiert sei. Schließlich sei der Fall kein Fahrraddiebstahl. Bislang sind für den Prozess 18 Verhandlungstage anberaumt. Insgesamt 70 Zeugen will die Kammer hören und zehn Gutachter einbestellen. Die Akten umfassen insgesamt 17 Ordner.
Entgegen der in der Anklageschrift konstatierten finanziellen Not, in der er sich befunden haben soll, zeichnete sich im Laufe des ersten Verhandlungstags ein anderes Bild ab. Wie der Angeklagte bestätigte, habe er bis Mitte 2012 im Vertrieb einer großen Firma gearbeitet und verdiente bis zu 80 000 Euro im Jahr. Danach habe er sich selbstständig gemacht. Die Voraussetzungen dafür seien gut gewesen. Er habe bestehende Kontakte für seine eigene Firma nutzen können und kam schnell an gute Aufträge. Bis zu 200 0000 Euro Umsatz habe er in den ersten drei Jahren jährlich mit seiner Firma für Bodenbeläge gemacht. Die gemeinsame Wohnung in der Doppelhaushälfte sei so gut wie abbezahlt gewesen. Die zweite Wohnung im gleichen Haus sei zwar noch hoch belastet, aber vermietet gewesen. Von dem langfristigen Darlehen, das er als Gründungszuschuss bekommen habe, seien noch 40 000 Euro abzubezahlen gewesen. „Wir haben gut gelebt“, sagte er, „und sind dreimal im Jahr in den Urlaub gefahren.“
Über seine Ehe und die Situation der Kinder sagte er zunächst nichts. „Mein Mandant sieht sich nicht in der Lage ,dazu heute etwas zu sagen“, sagte Rechtsanwalt Bense. „Er wird sich zu gegebener Zeit dazu äußern.“Die Taktik des Verteidigers ist klar. Er will den Mordvorwurf von seinem Mandanten abwenden. Eine Einlassung zum Tathergang wäre darum zu diesem Zeitpunkt wohl noch zu früh. Die Darstellung des beruflichen Werdegangs und der finanziellen Situation steht so erst einmal gegen den Vorwurf der Habgier. Wie er aber die minutiös dokumentierte Autofahrt in der Mordnacht erklären will, bleibt abzuwarten.
Schockierter Angeklagter
Nach knapp zwei Stunden ist der erste Prozesstag zu Ende. „Ich kann die Ermittlungsergebnisse nicht nachvollziehen“, sagte der Angeklagte, der seine Tränen nicht mehr verbergen konnte. „Ich bin von dem Vorwurf erschüttert. Ich bin schockiert, was da an diesem Wochenende passiert sein soll. Es ist schmerzlich, dass meine Kinder auf diese Weise ihre Mutter verloren haben und dass sie nun mit mir alles verloren haben.“
Am 22. März wird der Prozess fortgesetzt. Da dürfte der Sitzungssaal wieder voll besetzt sein.