Vom Ureinwohner zum „linken Vogel“
Vortrag von Siegbert Eckel über den Allgäuer Menschenschlag
OBERALLGÄU - Die Zeiten ändern sich. Charakterisierten die Römer die Bewohner des Allgäus, die Sueben, noch als herkulisch gebaut und ohne Falschheit, so lautet das Urteil des Immenstädter Landgerichtsarztes Dr. Sebastian Geiger von 1814 ganz anders: „Man findet zwar einige, die noch volle Teutonskraft in sich tragen, doch aber nur als Ausnahme gesehen werden können.“Denn „starke Arbeit, Sorge des Lebensunterhalts, auf der anderen Seite verheerender Luxus“haben den „kernvollen Menschenschlag sehr entnervt und herabgestimmt“. Darüber hinaus wird dem Allgäuer ein „auf Eigennutz und Betrug“ausgerichteter Charakter bescheinigt.
Diese Entwicklung vom ehrlichen Ureinwohner zum „linken Vogel“skizziert Siegbert Eckel vom Immenstädter Stadtarchiv in einem Vortrag über den „Allgäuer im Allgemeinen und den Immenstädter im Besonderen“. Als Quellen dienen historische Aufzeichnungen. Der Abend setzt die Reihe „1200 Jahre Allgäu“im Immenstädter Museum Hofmühle fort. Das Haus ist voll besetzt.
Siegbert Eckel konzentriert sich auf den Oberallgäuer und beschreibt zunächst dessen Körperbau, der erheblich von jenem normaler Menschen abweiche: Der Oberallgäuer kenne „keine Hände, sondern nur Dobbe, und weil er auch keine Arme kennt, sind die am Oberkörper angewachsen. Oberschenkel, Knie, Waden, Knöchel und Zehen, das gehört bei ihm dagegen alles zu de Fiaß und die sind bei ihm am Bauch angewachsen.“
Diesem merkwürdigen Menschenschlag, von dem der Herrgott laut einer Legende behauptet haben soll „Die sim’ mer vergrote“, wird allerdings auch „Genie“nachgesagt. Oder wie es der Schriftsteller und Maler Joseph Friedrich Lendtner um 1850 in einer Dokumentation für König Maximilian II. von Bayern weniger schmeichelhaft formulierte: „Der Allgäuer ist selbstsüchtig und verschmitzt, er ist klug und berechnend, sodass er aus allen Dingen seinen Vorteil zu ziehen weiss.“Dr. Heinrich Dietz stößt 1865 in der Augsburger Postzeitung in ein ähnliches Horn: „Der Allgäuer hat einen ausgeprägten Handelsgeist. Dieser macht rührig und erwerbssüchtig, ist aber ein Feind von jeglicher körperlicher Anstrengung.“Und Dietz führt weiter aus: „Der Schacher ist im Allgäu epidemisch geworden. Man kauft ein Gut nicht, um es zu behalten, sondern um es mit möglichst hohem Profit wieder loszuschlagen. Nicht mit Unrecht nennt man das Allgäu das gelobte Land der Notare.“Diese gewinnorientierte Haltung habe aber auch dazu geführt, dass dem Allgäuer das Bewusstsein und seine ureigenste Kultur und deren Stärken abhandengekommen sei.
Neigung zur Theatralik
Das zeigt Eckel am Beispiel des Immenstädters: „Die Begeisterung, mit der die heutigen Bewohner ehemaliger Reichs- und Herrschaftsstädte ihre Orte inszenieren, ist in Immenstadt vollständig verloren gegangen. Wie der Allgäuer im Allgemeinen, so hat bedauerlicherweise auch der Immenstädter seinen besonders feinen Kulturkreis vollständig den Bestrebungen nach einer Neuorientierung und modernen Events geopfert.“
Siegbert Eckel versäumt auch nicht, der Kommunalpolitik die Leviten zu lesen: „Der Immenstädter neigt von jeher sehr stark zur Theatralik. Früher drückte sich dies in einer umfassenden Theaterbegeisterung mit zwei Spielgesellschaften und einem eigenen Stadttheater aus, heute findet dagegen Immenstädter Theater auf anderen Ebenen statt.“