Ohne Niere keine Banane
Nach jahrelanger Dialyse: Petra Kohler, Edda Knop und Karline Hudl haben eine neue Niere
LINDAU (jule) – Das Wichtigste ist die Toilette in unmittelbarer Reichweite. Denn wenn sich Petra Kohler, Edda Knop und Karline Hudl zum Kaffeetrinken treffen, ist eigentlich immer eine von ihnen auf dem Klo. „Unsere Blasen sind nur noch so groß wie eine Walnuss“, sagt Petra Kohler. Das liegt daran, dass sie erst seit dreieinhalb Monaten eine Niere hat, die funktioniert. Die Niere von Edda Knop ist sogar noch jünger. Karline Hudl hat ihre bereits seit eineinhalb Jahren. Kennengelernt haben sich die drei im Lindauer Dialysezentrum. Fünf Jahre lang haben sie dort zusammen gegessen, geratscht, geschlafen, gelitten und gelacht. Aber vor allem haben sie gelebt. Denn ohne Dialyse stirbt ein Mensch mit chronischem Nierenversagen innerhalb weniger Tage oder Wochen. Die Wartezeit für eine Spenderniere beträgt im Schnitt sechs bis sieben Jahre.
Gründe für ein chronisches Nierenversagen gibt es viele. Bei Edda Knop hat alles mit Mandelkrebs begonnen. Nach einer Chemotherapie legte man ihr eine Magensonde, die nicht richtig dicht war. Sie bekam eine Sepsis, ihre Organe versagten, sie fiel für ein halbes Jahr ins Koma. Die Ärzte mussten ihre Füße und einige Finger amputieren. Ihr Herz arbeitete nur noch mit einer Leistung von 35 Prozent. Zwei Jahre verbringt Edda Knop im Krankenhaus, danach muss sie regelmäßig zur Dialyse. „Mein Arzt hat damals gesagt, eine neue Niere kann ich mir aus dem Kopf schlagen“, erzählt sie.
Die Niere von Petra Kohler hat sich vor neun Jahren entzündet. „Von da an ging es abwärts“, erzählt sie. 2009 kommt sie ins Lindauer Dialysezentrum. Sieben Jahre lang verbringt sie dort drei Vormittage die Woche. Die meiste Zeit davon sind Edda Knop und Karline Hudl mit ihr im Zimmer. „Irgendwann ist das wie eine Familie“, sagt Karline Hudl.
Mit 15 die Diagnose „Schrumpfnieren“bekommen
Die Dialysetage sind die guten Tage im Leben eines Nierenkranken. Denn während der Blutreinigung dürfen Ausnahmen gemacht werden. „Da gibt es die Möglichkeit, seinen Heißhunger zu stillen“, erzählt Petra Kohler. Zum Beispiel den nach Obst. Denn darauf müssten Nierenkranke in der Regel verzichten. Und sie dürfen nur etwa einen dreiviertel Liter Wasser am Tag trinken, von dem nur ein kleiner Teil bis überhaupt nichts mehr ausgeschieden wird. „Das Essen war für mich vor der Transplantation eine Tortur. Alles, was ich essen wollte, durfte ich nicht. Auf den Rest hatte ich keine Lust“, erzählt Edda Knop.
Karline Hudl ist die jüngste der drei Freundinnen und hat doch die längste Krankheitsgeschichte. Als sie 15 ist, bekommt sie die Diagnose „Schrumpfnieren“. Bevor sie ins Dialysezentrum, damals noch auf der Lindauer Insel, geht, macht sie vier Jahre lang eine sogenannte Peritonealdialyse (auch Bauchfelldialyse). Im Gegensatz zu der üblicheren exkorporalen Hämodialyse (Blutengiftung außerhalb des Körpers) kann man die Bauchfelldialyse selbstständig zu Hause durchführen.
Karline Hudl hat ihr halbes Leben an der Dialyse verbracht. Freiwillig. „Ich fand den Gedanken, ein Organ von einem fremden Menschen zu bekommen, gruselig“, erzählt sie. Auch eine Lebendspende sei für sie nie infrage gekommen. Dabei sind Nierentransplantationen von Lebenden möglich und auch nicht unüblich. Ein gesunder Mensch besitzt zwei Nieren, von denen er nur eine braucht. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stammten 2011 mehr als ein Fünftel der transplantierten Nieren von lebenden Spendern.
Als sie 28 ist, hat Karline Hudl eine Herzoperation. „Die Niere hat einen gemeinen Rattenschwanz“, sagt sie. Funktioniert das Entgiftungsorgan nicht, störe das zum Beispiel oft den Knochenstoffwechsel. Karline Hudl bekommt auch Probleme mit dem Herzen. „Nach der Herzoperation habe ich mir gedacht: Wenn die mich nicht umbringt, bringt mich nichts um“, erzählt sie. Sie meldet sich für eine Spenderniere. Nach fast 15 Jahren Dialyse ist klar, dass es schnell gehen wird. Denn die Wartelistenplätze für ein Spenderorgan werden ausgehend vom ersten Tag der Dialyse vergeben. An einem Freitagnachmittag bekommt Karline Hudl per Post die Bestätigung, nun auf der Liste zu sein. Am nächsten Morgen um fünf Uhr bekommt sie einen Anruf aus dem Krankenhaus in Freiburg: Für sie steht eine Niere bereit. „Ich habe denen erst einmal gesagt, ich kann jetzt nicht“, erklärt sie ihre Überforderung in diesem Moment. Ihr Arzt überzeugt sie schließlich, die Chance zu nutzen. Wenige Stunden später ist sie stolze Besitzerin einer neuen Niere. „Sie gehörte einer Frau und saß auf der rechten Seite“, weiß sie. Viel mehr erfahren Empfänger über die Spender nicht. Im Körper von Karline Hudl sitzt das Organ nun wie bei allen Nierenempfängern vorne und nicht hinten.
Ihre Freundinnen aus dem Dialysezentrum freuen sich mit ihr. „Wenn jemand eine neue Niere bekommt, dann ist das ein Fest“, sagt Petra Kohler. Mehr als ein Jahr später wird es dann auch bei ihr soweit sein. Als das Krankenhaus anruft, ist sie auf einer Geburtstagsfeier. „Ich sagte zu meinem Mann: ,Es ist eine Niere da, wir gehen jetzt.’ Und alle haben gejubelt“, erzählt sie. Petra Kohlers Transplantation findet in Augsburg statt. An dem Abend schneit es stark. Der Taxifahrer, der sie sieben Jahre lang zur Dialyse gebracht hat, fährt sie auch an diesem Abend. „Erst als ich das Flügelhemd für den OP anhatte, wurde mir bewusst, was jetzt passiert“, erzählt Kohler. Zwei Wochen später wird sie mit neuer Niere entlassen.
„Jetzt bist du dran“, habe sie zu ihrer Freundin Edda gesagt. Deren Situation hat sich in der Zwischenzeit verändert: Bei einer Untersuchung hatte sich herausgestellt, dass ihr Herz wieder gut funktioniert. Nur wenige Wochen nach Petra Kohler bekommt auch sie ihr neues Organ. „Die erste Banane nach der OP war ein Festessen“, erinnert sich Edda Knop. Nur, dass sie nun plötzlich zweieinhalb Liter pro Tag trinken sollte, überforderte ihre Miniblase. „Ich musste zehnmal pro Nacht aufs Klo.“
Tag der Transplantation ist zweiter Geburtstag
Für jede der drei Freundinnen ist der Tag der Transplantation ein zweiter Geburtstag. Alle drei Frauen wissen aber auch, dass sie ohne Dialyse wahrscheinlich nicht überlebt hätten. „Trotzdem ist es schlimm, dass die Wartezeit so lange ist“, sagt Karline Hudl. „Es sollte sich jeder Gedanken darüber machen, ob er seine Organe spenden möchte.“Denn Angehörige seien beim Tod eines geliebten Menschen mit einer solchen Entscheidung meist überfordert.
Das Leben der drei Frauen hat sich verändert. Zum Positiven, wie sie sagen. Zwar müssen sie sich noch häufig die Hände waschen, denn nach einer Transplantation wird das Immunsystem mit Medikamenten gehemmt, damit der Körper das neue Organ nicht wieder abstößt. Petra Kohler muss ihre Kaninchen verkaufen, denn deren Streu ist voller Keime. Und auch Blumenerde sollten die drei Frauen meiden, denn darin sind oft Schimmelpilze. Doch die Medikamente werden weniger, ebenso wie das Händewaschen.
Statt im Dialysezentrum treffen sich die drei jetzt im Café. Sie lachen viel. Aber vor allem essen sie, worauf sie Lust haben.