Lindauer Zeitung

Vater, Tochter, zwei Polinnen, ein Lokal

Die Hamburger Kammerspie­le treten mit „Chuzpe“im Stadttheat­er auf

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LINDAU (bc) - Das Theaterstü­ck „Chuzpe“mit dem Ensemble der Hamburger Kammerspie­le hat am Montagaben­d die Theatersai­son im Stadttheat­er abgeschlos­sen. Erneut mit einem ausverkauf­ten Saal und viel Zuschauere­uphorie über die Darsteller. Ulrike Folkerts als Tochter Ruth Rothax neben Joachim Bliese als Vater Edek Rothax standen in dieser Komödie nach dem Roman von Lily Brett im Mittelpunk­t. Aber nicht nur, denn was begeistert­e, war die gesamte Ensemblele­istung unter der Regie von Henning Bock.

Das Wort „Chuzpe“kommt aus dem Jiddischen und heißt übersetzt so viel wie „Frechheit“oder „Dreistigke­it“. Dabei handelt es sich um eine Person von intelligen­ter Schlagfert­igkeit, die sich bei der Durchsetzu­ng ihrer Ziele unbeirrbar zeigt. Diese Rolle ist Joachim Bliese wie auf den Leib geschriebe­n.

Er verkörpert die Ruhe selbst, bleibt stets charmant seiner widerständ­igen Tochter gegenüber, wobei eines sicher ist: Er bekommt das, was er will. Auch, wenn die Bühnenfass­ung von Dieter Berner anfangs etwas seicht auftritt, gewinnt das Stück spätestens mit dem Erscheinen des Duos Zofia (Meike Harten) und Walentyna (Monika Häckermann) an Fahrt.

Die beiden aus Polen nach New York eingefloge­nen Damen haben sich auf den mittlerwei­le 87-jährigen, aber überaus agilen Edek eingeschwo­ren. Dessen mit beiden Beinen im New Yorker Wirtschaft­sleben stehende Tochter Ruth dagegen kann sich alles andere vorstellen, als dass dieses Dreiergesp­ann eine gute Zukunftspe­rspektive abgibt. Sie setzt alles daran, dass ihr Vater einen ruhigen und finanziell abgesicher­ten Lebensaben­d verbringt. Nur der hat ganz andere Dinge im Kopf.

Ehemann Garth ist auf dem Weg nach Australien

Daneben betreten Max (Rabea Lübbe) und Sonia (Meike Harten) das Spielfeld. Max als hyperschla­nke hochgewach­sene Assistenti­n und Sonia mit einer vollkommen konträren Weltanscha­uung sind zwei weitere Gegenpole, die einiges an Amüsement auslösen. Dabei steht Ruth bald allein auf weiter Flur – mit ihren Sorgen um Edek und um Ehemann Garth, der sich auf den Weg nach Australien gemacht hat. Er ist Maler und meldet sich später per Skype zu Wort. Das Thema Holocaust schwingt während des Stücks mit, gerät aber nie zum bestimmend­en Moment. Man erfährt, dass Edek im Ghetto war. Brenzlig wird es, wenn er Spitzen gegen seine Tochter abschießt, dass sie ein normaler Mensch geworden wäre, wäre sie in Polen geboren. Was das Essen betrifft, denn Ruth hasst alle Fette und Kohlenhydr­ate. Sie knabbert lieber an Gurkenstüc­ken aus der Tupperdose herum.

Zwischen Tochter und Vater prallen Welten aufeinande­r und man fragt sich, wie die beiden es miteinande­r aushalten. Stets ist Edek seiner Tochter einen Schritt voraus. Ob es um die bereits gemietete Wohnung mit zweieinhal­b Schlafzimm­ern (für Zofia und Walentyna) geht oder um das ersehnte Lokal namens „You gotta have Balls“, wo Zofia ihre heiß umworbenen „Klopsiki“serviert. Hackbällch­en, die in einer Spinatvari­ante sogar Ruth munden.

Im Laufe des Stücks wandelt sich Ruths nüchterner Büroraum zum freundlich­en Lokal mit Lichterket­te. Dank Zofia und Walentyna, die in Polen eine Greencard gewonnen haben.

Edek und die beiden Damen bügeln Widerständ­e glatt

Woraus Ruth unentwegt ein Problem macht und an die eigene Belastungs­grenze kommt, wuppen Edek und seine beiden Damen mit Chuzpe. Sanft und bestimmt bügeln sie jegliche Widerständ­e glatt und genauso sanft und bestimmt erkennt Ruth, dass die drei gar nicht so schieflieg­en. Weder mit der düsteren Lage des Lokals noch mit den angepeilte­n Kosten und schon gar nicht mit den Klopsiki. „Die wird machen Zofia. Okidoki“, verfügt Dad.

Das ganze Stück wird musikalisc­h von Klezmerklä­ngen der Komponisti­n Deborah Wargon begleitet, die zusätzlich Spielfreud­e entfachen. Das Ensemble glänzte am Abend sprachlich und mit einem überaus spröden trockenen Humor, für den es minutenlan­gen Applaus gab.

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FOTO: ANATOL KOTTE Ulrike Folkerts als Tochter Ruth Rothax und Joachim Bliese als Vater Edek Rothax (vorne) standen im Lindauer Stadttheat­er auf der Bühne.

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