Als wären Jahre vergangen
Für Bayern und Dortmund ist vor dem Pokal-Duell nichts mehr wie vor drei Wochen
rst 18 Tage ist es her, als sich heißhungrige Bayern und zaghafte Dortmunder Reservisten in der Allianz-Arena begegneten. 4:1 ging der Kick aus, es war, als träfe Goliath auf einen David, der seine Steinschleuder vergessen hat. Seitdem passierte in beiden Fußballvereinen so viel, dass es einem vorkommt, als sei die Zeit gerafft worden. Dortmund hat einen Bombenanschlag hinter sich, es hätte nicht viel gefehlt, und der BVB hätte nun tote junge Spieler zu betrauern, statt sich um direkte oder indirekte Champions-League-Einzüge zu sorgen. Und der FC Bayern hat, zumindest wenn man Karl-Heinz Rummenigge glauben darf, mindestens einen Schiedsrichteranschlag hinter sich. Das 2:4 bei Real Madrid, das auch das eigene Unvermögen aufdeckte, scheint alle Euphorie rund um den Marienplatz lahmgelegt zu haben.
Wenn die deutschen Vorzeigeclubs heute (20.45/ARD) im Pokal-Halbfinale aufeinandertreffen, im sechsten Jahr in Folge übrigens, dann ist nichts mehr wie zuvor. „Das 4:1 fühlt sich ewig weit zurück an“, findet BVBTrainer Thomas Tuchel. Tatsächlich hatte man zuletzt den Eindruck, Dortmund könnte von seinem traumatischen Erlebnis am Ende sogar noch profitieren. „Wir sind enger zusammengerückt“, berichtet Mittelfeldspieler Gonzalo Castro, und einer, der zuvor auf dem Abstellgleis stand, riss die anderen plötzlich mit und schwang sich zum neuen Anführer auf – Nuri Sahin nämlich, der seinen Vertrag am Dienstag prompt um ein Jahr bis 2019 verlängern durfte. „Nuri hat bei die Verarbeitung der Dinge eine tragende Rolle für die ganze Mannschaft gespielt“, sagte Tuchel, umso mehr schmerzte die Sprunggelenksverletzung des Türken beim 3:2-Sieg in Gladbach. Der 28-Jährige fällt wohl noch zwei Wochen aus.
Ancelotti wird nicht schießen
Trotz des Scheiterns gegen den AS Monaco scheinen sich die Dortmunder gegenseitig aus ihren Ruinen aufgeholfen zu haben, inspiriert hat sie auch einer, der oft verletzt ist, allerdings das Kunststück beherrscht, sofort nach seinem Comeback wieder einer der Besten zu sein: Marco Reus. Der Linksaußen dürfte der kreativste, dribbelstärkste Fußballer in Deutschland sein, einer, der jede Mannschaft stärker macht. „Mit Reus ist Dortmund gefährlicher“, weiß auch Bayerns Trainer Carlo Ancelotti.
Die Vorzeichen haben sich gedreht: Dortmund scheint plötzlich wieder das hungrige Team vom Herbst zu sein, jederzeit bereit, zuzuschlagen. „Sie haben eine unglaublich talentierte Mannschaft, gerade in der Offensive“, lobt auch Bayern-Kapitän Philipp Lahm. Dass die Münchner dennoch der kleine Favorit bleiben, liegt an der Defensive: Mats Hummels, Jérome Boateng und Javi Martínez, die drei Weltmeister in der Innenverteidigung, sind wieder fit. Auch wenn Torhüter Manuel Neuer erst in der nächsten Saison wieder mitwirken wird und der Einsatz von Linksverteidiger David Alaba (Knie) auf der Kippe steht – in der Defensive hat der Meister in spe klare Vorteile gegenüber dem Bundesligadritten. Als Dortmunds einziger herausragender Mann in der Abwehr firmiert der Grieche Sokratis, der hat allerdings muskuläre Probleme. „Es wird supereng“, sagt Tuchel.
Super-eng könnte auch das Spiel an sich werden, denn die Bayern haben noch an ihrem verlorenen Champions-League-Traum zu knabbern. „Für Trauer bleibt keine Zeit“, mahnt Rummenigge, die „Sportbild“berichtet jedoch über ein post-Reales Zerwürfnis zwischen Franck Ribéry und Ancelotti. Einige Stammspieler scheinen zudem der Strategie des Trainers, fast immer auf die gleiche Elf zu setzen, Tribut zu zollen. „Es ist keine gute Situation, wir haben viele angeschlagene Spieler, die in den letzten Wochen mehr als nur Wehwehchen hatten“, berichtet Lahm, der mit einem Triumph am 27. Mai in Berlin mit Rekordhalter Bastian Schweinsteiger (sieben Siege) gleichziehen könnte. Gleichwohl bietet der Pokal den Bayern die psychologisch wertvolle Aussicht, die Saison vor 80 000 Fans mit einem Erfolg beenden zu können. „Wer da keine Motivation hat, der hat den Beruf verfehlt“, findet Lahm.
Am Wichtigsten könnte der Einzug nach Berlin allerdings für die Trainer sein. Dortmunds Führungsetage scheint ja immer noch daran zu zweifeln, ob es doch noch ein gutes Ende nimmt mit ihrem Coach, der zumindest in seiner Beziehung zu Geschäftsführer Aki Watzke noch Potenzial nach oben hat. Passt Thomas Tuchel zu Dortmund? Manchmal beantworten Siege solche Fragen. Tuchel, dessen Vertrag 2018 ausläuft, sagt nur: „Das Spiel hat für mich einen Riesenstellenwert. Das hat eine große Auswirkung auf die Saison und wie wir sie am Ende bewerten werden.“
Und Ancelotti? Auch der säße mit dem Double fester im Sattel, schließlich soll er den neuen, verjüngten FC Bayern aufbauen. Der Italiener versucht weiter, Lockerheit auszustrahlen. Auf die Frage, ob er gerne selbst an einem Elfmeterschießen teilnehmen würde, sagte der 57-Jährige: „Ich war ein grausamer Elfmeterschütze. Wenn ich rechts schießen wollte, ging der Ball links vorbei.“