Wenn Superhelden fliegen lernen
Die Berliner Firma Rise FX steuert Spezialeffekte für Hollywood-Blockbuster bei
STUTTGART - Die perfekte Illusion: Wenn sich fliegende Leinwandhelden von Gebäuden stürzen oder Finsterlinge die Energiepeitsche schwingen, kommt die Tricktechnik dazu auch von der Spezialeffektschmiede Rise FX. Das in Berlin gegründete Unternehmen präsentiert sich dieser Tage bei der Animationskonferenz FMX in Stuttgart, wo in einer Rise-Niederlassung an prestigeträchtigen Filmprojekten gearbeitet wird. Rise FX spielt in der Meisterklasse der Kinowelt mit – und feiert dieses Jahr zehnten Geburtstag.
Der beste Spezialeffekt ist der, den der Zuschauer gar nicht als solchen wahrnimmt. Davon ist Florian Gellinger überzeugt. Der 38-Jährige hat Rise FX 2007 gemeinsam mit Sven Pannicke, Robert Pinnow und Markus Degen gegründet. Er vergleicht die Arbeit mit dem Aufbau eines Kartenhauses, das bei der geringsten Erschütterung zusammenfällt: „Man muss unglaublich vorsichtig sein. Eine einzige Einstellung, die nicht funktioniert, reicht aus, um den Zuschauer herauszureißen.“
Wie es richtig geht, zeigt der Anfang der Marvel-Comicverfilmung „The First Avenger: Civil War“. Darin müssen Captain America und seine Gefährten einen Angriff auf ein Biowaffenlabor abwehren. Die rasante Actionsequenz ist mit jeder Menge Tricktechnik von Rise FX gestaltet. Der austretende Rauch von Nebelgranaten etwa: „Da braucht es dann physikalische Strömungssimulationen“, erklärt Gellinger. Denn wenn die wabernden grünlichen Gase sich nicht so verhalten, wie es die Naturgesetze vorschreiben, fällt das dem Zuschauer auf. Selbst die Superhelden sind in manchen, besonders waghalsigen Momenten komplett als Digitaldoubles auf der Leinwand zu sehen – allerdings ohne dass das menschliche Auge das in dem Moment wahrnimmt.
Die Marvel-Verfilmungen sind die derzeit weltweit erfolgreichste Filmreihe. Stand November 2016 haben die Kinoabenteuer von Iron Man, Captain America und den vielen anderen 10,5 Milliarden US-Dollar eingespielt. Die aktuellste Arbeit für das Superhelden-Kinouniversum war für Rise FX „Doctor Strange“, in dem sich Magier spektakuläre Kämpfe liefern. Die magischen Portale und die Energiepeitschen, mit denen sich die Zauberer gegenseitig zu Leibe rücken, sind ebenfalls eine Kreation von Rise FX. Wieviel Arbeit darin steckt, kann sich der Kinogänger kaum vorstellen: Die Effektmacher grübeln, wie die Peitsche sich bewegt, keine Faser wird dem Zufall überlassen. Das Licht, das die Energiepeitsche abgibt, die Funken, die herunterfallen und aufsteigen – alles kleine Elemente, über die sich die Computerexperten Gedanken machen müssen. Gleichzeitig müssten auch hier die Naturgesetze beachtet werden, so Gellinger. „Wir erschaffen etwas völlig Neues, das sich aber realistisch verhalten soll“, beschreibt der gebürtige Berliner die Herausforderung. Aktuell arbeiten 160 Mitarbeiter in Deutschland für das Effektstudio. Angefangen hat alles mit 18 Vollzeitkräften in Berlin 2007. Die ersten internationalen Aufträge bekam Rise FX 2009. Der Durchbruch gelang ein Jahr später, als die Firma an „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“beteiligt war. Die Branche ist überschaubar, wer zuverlässig Qualität liefert, ist bei den Filmstudios begehrt. Es folgten Marvel-Projekte wie der erste Teil der „Captain America“-Reihe und der zweite „Avengers“-Film. Imposant Florian Gellinger über die Spezialeffekt-Konferenz FMX auch die Arbeit zu Guy Ritchies „Codename Uncle“, bei dem Rise ganze Straßenzüge Berlins zu Zeiten des Kalten Kriegs digital erschuf.
Die deutsche Hauptstadt steht auch im Mittelpunkt des derzeit wichtigsten und größten Projekts, am dem Florian Gellinger und sein Team arbeiten: „Babylon Berlin“, eine in den 1920er-Jahren angesiedelte Serie des Regisseurs Tom Tykwer („Lola rennt“, „Cloud Atlas“) und laut Gellinger die bislang „größte und teuerste deutsche Serie“. „Die Serie spielt in einer Zeit, in der Berlin so aussah wie kein Ort auf der Welt momentan aussieht.“
Die FMX ist für Rise FX eine wichtige Plattform: „Das ist wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen“, sagt Florian Gellinger. Denn die Veranstaltung sei eine großartige Gelegenheit, neue Mitarbeiter zu rekrutieren, Aufträge anzubahnen und Kollegen zu treffen. Dabei erweist sich Stuttgart immer wieder als guter Ort: „Wäre das in London, würde jeder gleich wieder in seine Firma zurückgehen. Aber hier sind die Teilnehmer quasi gestrandet und dadurch entspannt, man geht zusammen Kaffee trinken und bespricht vergangene oder künftige Projekte“, so Gellinger.
Kinogänger können die Arbeit von Rise FX aktuell in der Endszene des Actionkrachers „Fast and Furious 8“bestaunen. Im August kommt die Stephen-King-Verfilmung „Der dunkle Turm“in die Kinos – mit Spezialeffekten von Rise FX. Die Arbeit dürfte Gellinger und seinem Team nicht so schnell ausgehen: Marvel hat seinen Filmfahrplan bereits bis ins Jahr 2020 festgezurrt.
„Das ist wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen.“