Zukunft des EU-Parlamentssitzes in Straßburg ist ungewiss
Die Wahl eines französischen Nachwuchsstars zum Präsidenten scheint im EU-Parlament für Aufbruchstimmung zu sorgen. Wäre ein Neustart in Frankreich nicht die einmalige Gelegenheit, dem Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg ein Ende zu setzen? Das fragen sich derzeit viele der 751 Abgeordneten, von denen sich bis zu 80 Prozent dafür aussprechen, die Straßburger Filiale zu schließen.
Emmanuel Macron hat einen europafreundlichen Präsidentschaftswahlkampf geführt. Für seine Siegesrede wählte er Beethovens „Ode an die Freude“– die Europahymne. Die liberale Europaabgeordnete Sylvie Goulard ist eine enge Beraterin des neuen Präsidenten und wird als künftige Außenministerin gehandelt. Doch wird sich der Neue an ein Thema heranwagen, das für alle seine Vorgänger tabu war und für die Franzosen neben den wirtschaftlichen Vorzügen für den Elsass auch große symbolische Bedeutung hat?
Im Elsass ist Marine Le Pens Front National erfolgreich. Gerüchte über den Verlust des Parlamentssitzes könnten ihr weitere Anhänger bescheren. Nach Informationen der parteiübergreifenden „Ein-Sitz-Kampagne“spülen die zwölf jeweils vier Tage dauernden Plenarsitzungen jährlich etwa 20 Millionen Euro in die Stadtkasse. Offiziell beteiligen sich keine französischen Europaabgeordneten an der Initiative, die 1,27 Millionen Unterschriften von Europäern gesammelt hat. Die Unterzeichner verurteilen sowohl die Verschwendung von Steuermitteln von etwa 180 Millionen Euro pro Jahr als auch die 70 000 jährlich auf Reisen vertrödelten Arbeitstage der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter.
Bevor in der Nationalversammlung in Paris die Abgeordnetensitze neu verteilt sind, werden sich auch diejenigen französischen Politiker nicht aus der Deckung trauen, die insgeheim den Wanderzirkus für nicht mehr zeitgemäß halten. Nach der Wahl kann sich Macron einen entsprechenden Vorstoß nur dann erlauben, wenn seine neue Partei eine solide Mehrheit geholt hat. Im zweiten Schritt müsste dann überlegt werden, wie der strukturarmen Region geholfen werden kann.
Die Europäische Arzneimittelagentur Ema wäre nach Überzeugung vieler EU-Abgeordneter eine attraktive Alternative. Sie bewertet und überwacht sämtliche Medikamente, die in der EU zugelassen werden sollen oder bereits zugelassen sind. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU muss sie London verlassen. 900 gut bezahlte Experten mit ihren Familien sorgen für Kaufkraft. 36 000 Fachleute reisen jährlich zu Tagungen oder Fachausschüssen an. Knapp 100 lokale Mitarbeiter unterstützen das europäische Team.
Einen solchen Arbeitgeber würde jede Gemeinde gern an sich binden. Deshalb haben sich fast alle EU-Staaten um die Ema und die ebenfalls heimatlos werdende Europäische Bankenaufsicht Eba beworben.