„Es herrscht ein System der Intransparenz“
Der Münchner Regisseur Daniel Harrich packt das nächste heiße Eisen an: gefälschte Medikamente
Harrich ist ein Interviewpartner, der Antworten auf Fragen gibt, bevor man sie gestellt hat – und das, ohne einmal Luft zu holen. Mit Vorliebe stürzt sich der Münchner Regisseur in Themen, die manchen den Schweiß auf die Stirn treiben. Seine Filme „Der blinde Fleck – Das Oktoberfestattentat“und „Meister des Todes“, in dem es um illegale Waffenlieferungen geht, hatten weitreichende juristische und politische Konsequenzen. Auch in seinem neuen Filmprojekt „Gift“greift Harrich ein heikles Thema auf: gefälschte Medikamente, die in unseren Apotheken und Krankenhäusern landen, Arzneien, die wahlweise gar keine, zu gering dosierte oder gar giftige Wirkstoffe enthalten. Katja Waizenegger hat mit Harrich über seine langjährigen Recherchen zu diesem Thema gesprochen.
Die WHO schätzt, dass in Deutschland bis zu ein Prozent der Medikamente gefälscht sein könnten. Das wären 14 Millionen Medikamente, die entweder zu wenige, zu viele, oder vielleicht gar giftige Wirkstoffe enthalten und dennoch über den Ladentisch gehen. Versagen hier die Kontrollsysteme?
In den letzten zehn, zwanzig Jahren hat die Pharmaindustrie ihre Produktion in Niedriglohnländer wie China und Indien verlagert. Vor nicht allzu langer Zeit war Deutschland die „Apotheke der Welt“. Heute ist das Indien. Nehmen Sie zum Beispiel einen x-beliebigen Pharmakonzern in Deutschland, der einen Subvertrag macht mit einem Zwischenhändler in Portugal. Der macht wieder einen Subvertrag mit einem Lohnhersteller in Indien, der diesen Auftrag wiederum an drei weitere Subhersteller weitergibt. Die machen mit 17 Wirkstoffherstellern in China Verträge – und in jedem Vertrag, der geschlossen wird, heißt es, dass die Qualitätsstandards zu hundert Prozent eingehalten werden. Ich meine, wer will das kontrollieren? Es herrscht in der Arzneimittelproduktion ein System der Intransparenz für den Verbraucher.
Das heißt, ich kann bei einem Medikament nicht erkennen, wo es herkommt?
Nehmen Sie zum Beispiel Aspirin von Bayer. Schauen Sie mal, ob irgendwo auf der Packung steht, wo das Medikament hergestellt wurde, wo die Wirkstoffe herkommen, die Bindemittel und so weiter. Da steht vielleicht drauf: Hergestellt von Bayer, Leverkusen. Ich weiß nicht, ob dieses Präparat irgendwann auch nur in der Nähe von Leverkusen vorbeigekommen ist. Das können Ihnen auch die Bayer-Kollegen von der Hotline wahrscheinlich nicht ohne weiteres sagen. Wir haben es probiert ... Im Prinzip ist es doch so, dass wir über die Herkunft von Hundeund Katzenfutter mehr wissen als über die von lebenswichtigen Medikamenten. Ich habe in Berlin bei Mitgliedern des Gesundheitsausschusses nachgefragt. Die wissen auch nicht, wo die Präparate hergestellt werden. Ja, wer soll’s dann wissen?
Wurden da auch Abhängigkeiten geschaffen?
Ja, definitiv. Wenn morgen ein Wirtschaftskrieg mit China ausbrechen würde, hätten wir übermorgen möglicherweise keine Antibiotika mehr, weil so gut wie nichts mehr hier produziert wird.
Wie hoch ist denn der Gewinn für die Fälscher?
Es geht um sehr viel Geld. Wenn das Medikament für eine Chemotherapie 10 000, 20 000 Euro pro Behandlung kostet, dann kann man sich vorstellen, von welchen Gewinnmargen wir hier sprechen. Aber auch bei gewöhnlichen Antibiotika muss sich die Fälschung lohnen, sonst gäbe es sie nicht.
Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?
Drei Dinge: Transparenz, Verantwortung und Bewusstsein. Wir haDaniel ben es doch auch beim Fleisch, bei den Eiern, bei den Turnschuhen geschafft, Transparenz zu schaffen für den Verbraucher. Damit der nachvollziehen kann, wo ein Produkt herkommt. Dazu müssen die pharmazeutischen Hersteller vom Gesetzgeber zur Verantwortung gezogen werden. Wenn diese durch das Auslagern der Produktion Gewinne einfahren, dann müssen sie auch garantieren können, dass es sich um 100 Prozent lupenreine Qualität handelt, die dort produziert wird. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss jemand dafür geradestehen.
Wie kann man sich vor gefälschten Medikamenten schützen?
Man muss wohl nicht ausdrücklich sagen, dass es keine gute Idee ist, ein rezeptpflichtiges Medikament ohne das entsprechende Rezept eines Arztes im Internet zu bestellen. Das ist das eine. Aber ein gefälschtes oder gepanschtes Medikament erkennt auch ein Arzt oder Apotheker oft nicht auf Anhieb. Deshalb sollten wir als Konsumenten dem Apotheker melden, wenn ein Medikament anders aussieht, anders schmeckt, Schreibfehler auf der Packung sind, der Beipackzettel fehlt. Dieser muss die Meldung dann an Arzneimittelkammer der Deutschen Apotheken weitergeben.
Und die Verantwortung? Liegt die auf Seite der Behörden?
In Deutschland ist unter anderem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, für die Kontrolle zuständig. Aber bei der Menge der bereits zugelassenen Medikamente und den vielen Neuzulassungen können diese Behörden eigentlich nur stichprobenartig prüfen. Die Pharmakonzerne müssen zu einer transparenten Produktion verpflichtet werden. Aber auch wir als Patienten müssen uns an die Nase fassen. Denn auch wir verursachen den enormen Preisdruck. Und Gleiches gilt für die Krankenversicherungen und deren Rabattverträge. Diesen Preisdruck geben die Pharmaunternehmen weiter an die Lohnhersteller.
Wo sollte man sich seine Medikamente besorgen?
Der Gang in die Apotheke vor Ort ist der sicherste Weg der Medikamentenversorgung, den wir in Deutschland haben. Aber absolute Sicherheit gibt es auch da nicht.
Nach Ihrem Film „Meister des Todes“über illegale Waffenverkäufe gab es ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Firma. Rechnen Sie nach der Ausstrahlung am Mittwoch wieder mit juristischen Konsequenzen?
Ich hoffe, dass Industrie und Behörden unsere Recherchen als positiven Anlass nehmen, die Probleme unter Kontrolle zu bringen.
Wie haben Sie die Dreharbeiten in Indien erlebt?
Indien ist ein Land, das ich lieben gelernt habe, das ich aber auch gleichzeitig als wahnsinnig brutal und abstoßend empfunden habe. Ich kenne kein anderes Land, in dem die Kontraste so stark ausgeprägt sind wie in Indien. Sie stehen an einer Straßenecke mit einem Bein im absoluten Luxus. Es riecht so unglaublich gut – und der nächste Windstoß kommt und Sie wollen sich am liebsten übergeben. Es ist unfassbar. Die Dreharbeiten vor Ort waren, wie zu erwarten, durchwegs extrem chaotisch. Die Engländer haben die Bürokratie erfunden, die Inder haben sie auf eine ganz neue Ebene gebracht.