Subtile Ausbrüche und Beziehungs-Wirrwarr
Theaterclub begeistert die Zuschauer im Lindauer Zeughaus mit seinem Stück „Jetzt reicht’s!“
LINDAU - Die Vielfalt der Ausbrüche unter dem Motto „Jetzt reicht’s!“haben die Zuschauer im Lindauer Zeughaus bei der Werkschau des Theaterclubs erlebt. Die Teilnehmer des Workshops unter der Leitung der Theaterpädagogin Anja Lorenzen standen damit erstmals auf den Brettern, die (für viele) die Welt bedeuteten und begeisterten mit ihren Darstellungen und Inszenierungen ihr Publikum restlos.
Um es vorwegzunehmen: Auf Vulkanausbrüche und Gefängnisausbrüche wartete man vergebens, so profan waren die Ideen nicht, die Lorenzen ihren Theaterschülern im Verlauf des sechsmonatigen Workshops präsentierte. Da ging es wesentlich subtiler zu, angefangen vom unerhörten Telefon, das noch so energisch bis fast verzweifelt klingeln konnte, aber keinen fand, der das Gespräch annehmen wollte, zur Begeisterung vor allem der jüngeren Zuschauer.
Staubsauger als Liebhaber
Oder der emotionale Ausbruch einer Hausfrau Gertrud Geiger, deren wahrer Liebhaber, ein Staubsauger, nach dem gemeinsam getanzten Kaiserwalzer („Es wäre so schön, wenn du kein Kaiser wärst...“) den Geist aufgibt und sich auch bei noch so inniger Herzdruckmassage nicht mehr reanimieren lässt. Es sind also einfach Geschichten, die das Leben hätte schreiben können, denn dieses überholt ja so oft die kühnsten Fantastereien links und rechts.
So wundert es nicht, wenn zwei Reisende (Ingrid Heinz und Sebastian Lieberherr) im gleichen Zugabteil sitzen und nahezu die gleichen Gedanken haben bezüglich des unverhohlenen Interesses am Gegenüber, was dank der personifizierten Gedanken (Gunni Thomsen und Jörg Rieck) dem Publikum deutlich gemacht wird.
Keiner der beiden ist aber fähig, eine diesbezügliche Konversation aufzubauen. Das hat zur Folge, dass sich die beiden Gedanken schließlich gemeinsam davonschleichen und sicher viel Spaß miteinander haben, ohne dass die beiden Reisenden irgendetwas davon mitbekämen und wenn, dann nur in Gedanken.
Ähnlich skurril auch die gespielte Szene, in der Jörg Rieck Anne-Sophie Seidler einen Heiratsantrag macht, wie es sich gehört, auf Knien. Diese lacht sich darüber kaputt und zückt das Handy, um den lächerlichen Typen vor ihr zu knipsen und gleich ihren Freundinnen zu posten. Die Überraschung kommt in dem Moment, als die Szene vorüber ist, Anne-Sophie ihr Mitleid für Jörg zum Ausdruck bringt, dass der Arme sich da der Lächerlichkeit preisgeben müsste und schließlich ihrerseits ihm einen Antrag macht. Was der mit einem Lachanfall abblitzen lässt.
Herrlich komisch ist die Verbildlichung des Songs „You’ve Got A Friend“, einem Hit aus den 1970er Jahren von Carol King, in dem diese Freundschaft schier am Kippen ist, denn bis Sonja Rieck sich endlich zu Gertrud Geiger auf die Bühne gesellt, war diese schon ein paar Mal am Platzen, aber nicht aus Freundschaft.
Die Emanzipation einer Dolmetscherin demonstriert Gunni Thomsen, die das Gelaber über Frauenrechte und ähnlichem einer Referentin schlussendlich nicht mehr erträgt und den Vortrag, den sie eigentlich aus einer Fantasiesprache übersetzen sollte, anfangs lustlos ins Deutsche bringt, aber dann die Referentin zur Minna macht („bla-bla-bla, wissen wir doch alles!“) und heftig mit ihr zu diskutieren beginnt, nachdem sie noch angewidert übersetzt hatte: „Wir müssen uns der weiblichen Kraft und Energie bedingungslos hingeben“. Das war dann zuviel.
Die unwägbaren Wirrungen von Beziehungen zeigen Sonja Rieck, die sich an Sebastian Lieberherr anschmiegt, während dessen sich auf der anderen Seite Jörg Rieck an Katharina Keller klammert. Was die beiden Riecks vor lauter blindem Anschmiegen nicht mitbekommen, ist die Annäherung von Lieberherr und Keller, deren suchende Hände sich schließlich und endlich finden.
Tragikomische Zickerei
Mit ernstem Stoff beschäftigen sich zwei Auftritte, „Die Liste der letzten Dinge“und „Norway-Today“, zwei Nummern, deren Vorlagen nicht aus den Händen Anja Lorenzens oder der Workshop-Teilnehmer stammen. Beide aber beschäftigen sich mit dem Suizid, beim ersten – nach Theresia Walser – einem gemeinsamen zweier Freundinnen (Anne-Sophie Seidler und Katharina Keller), die sich aber dann tragikomisch derart anzicken, dass der ernste Stoff in den Hintergrund gedrängt wird. Beim zweiten, (nach Igor Bauersima) spielt Anne-Sophie ein Mädchen, das im eigentlichen Plott mit ihrem Freund zusammen Selbstmord begehen und davor noch eine Videobotschaft sprechen will, dabei zum Schluss kommt: „Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ihr die gleichen Schwächen habt, hätte ich mich früher umgebracht“.
Wie filigran die Beziehung zwischen einem Künstler und seiner Skulptur sein kann, erzählen ohne Worte Ingrid Heinz und Jörg Rieck. Umso lautstärker geht es im Metzgerladen zu, in dem eine zickige, ignorante Kundin den Metzger so lange mit ihrem sinnfreien Wusch nach einem „Filet, aber ohne Knochen“nervt, bis der aus der Haut fährt, was wiederum sie abschließen lässt, bei einem anderen Metzger dann halt ein Kotelett, aber mit Knochen kaufen zu wollen, nachdem er ihr versucht hatte beizubringen, dass Filet ohne Knochen nicht möglich sei, es sowieso keine Knochen habe.
Für die Freunde der fleischlosen Kost gab es zum Abschluss die Fleischesoder Liebeslust zweier Möhren, beide garantiert ohne Knochen, dargeboten und geführt von Sonja Rieck, ein finaler Beweis dafür, dass die Teilnehmer unter Anja Lorenzen viel gelernt haben, zum einen über sich selbst und damit auch über die entdeckte Fähigkeit, etwas auf der Bühne zu spielen, was man eigentlich gar nicht ist. Das zu sehen, hat viel Spaß gemacht, wie der Beifall des Publikums belegte.