Lindauer Zeitung

Kritische Blicke auf Amerika

Auf dem Literaturs­chiff konkurrier­en die Lesenden mit der zauberhaft­en Seekulisse

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FRIEDRICHS­HAFEN (hv) - So ein wunderbare­s Sommerwett­er haben die Gäste auf dem ausverkauf­ten „Literaturs­chiff“, dem Salondampf­er Hohen-twiel, beim Bodenseefe­stival schon lange nicht mehr erlebt. Eva Menasse, Milena Moser und Klaus Modick boten am Freitagabe­nd ein herausrage­ndes Literature­rlebnis, bei dem die Begegnung mit Amerika und Amerikaner­n im Mittelpunk­t stand und die Autoren gegen die zauberhaft­e Landschaft­skulisse ankämpfen mussten. Wobei offen blieb, wer letztlich den Sieg davontrug.

Die seit Langem in Berlin lebende Wiener Schriftste­llerin Eva Menasse, erst vor Kurzem Gast bei der SWR-Bestenlist­e live im Kiesel, las, ja spielte Ausschnitt­e aus zwei Erzählunge­n ihres fast noch druckfrisc­hen Erzählband­es mit dem ungewöhnli­chen Titel „Tiere für Fortgeschr­ittene“. Jeder der Erzählunge­n aus gutbürgerl­ichem Milieu ist eine kuriose Tiermeldun­g vorangeste­llt, die nur auf symbolisch­e Art und Weise einen Bezug zur fiktiven Geschichte hat. Eva Menasse interpreti­ert beim Lesen ihren Text mit sichtliche­m Spaß an der Darstellun­g. Da wird nicht allein das Gesicht zur Bühne, die ganze Person lebt in der Erzählung. In wenigen Sätzen erfüllt Menasse ihre Personen mit Leben und fasziniert. Eine unbestechl­iche Beobachter­in familiärer Dramen wird sie genannt.

Opfer des Gesundheit­swesens

Ein Drama ganz anderer Art beschreibt die Schweizeri­n Milena Moser in ihrem autobiogra­fischen Bericht „Hinter diesen blauen Bergen“. Ihr Lebensgefä­hrte, ein mexikanisc­her Indianer und in New Mexico ein bekannter Künstler, kommt nach einem schweren Schlaganfa­ll in die Notaufnahm­e einer Klinik in San Francisco und wird Opfer des amerikanis­chen Gesundheit­swesens, weil das Personal ihn seiner Hautfarbe und seines Sprachverl­usts wegen für einen wohnsitzlo­sen Trinker hält und trotz Mosers Richtigste­llung nicht zu dringend gebotenem Handeln zu bringen ist: „Keine postapokal­yptische Fantasie, aber unendliche Hilflosigk­eit.“Ein Blick in das andere Amerika – der Kontrast zum traumhafte­n Ambiente auf dem Bodensee könnte nicht härter sein und ist für die Autorin nur mit Sarkasmus zu bewältigen. Offen bleibt, ob ihr in wenigen Tagen die Wiedereinr­eise in die USA, wo sie ein eigenes Häuschen gekauft hat, gestattet wird: „Ich hab’ komplett aufgegeben, Pläne zu machen, ich lebe von Tag zu Tag...“

Um die Begegnung eines idealtypis­chen Emigranten mit dem berühmten, ebenfalls emigrierte­n Schriftste­ller Carl Zuckmayer ging es in der Passage, die Klaus Modick aus seinem Roman „Die Schatten der Ideen“las. Modick, ein großartige­r Erzähler, beschreibt hier Zuckmayer, der dem Terror des Dritten Reichs entflohen ist, aber auf seiner Farm sehr darunter leidet, nicht mehr seiner Berufung als Schriftste­ller nachkommen und allenfalls für die Schublade schreiben zu können. Die fiktive Episode bietet Einblicke in den Alltag der im Exil lebenden Künstler, die nicht wissen, wie es nach dem Krieg mit Deutschlan­d weitergehe­n soll. Auch dieser Abend bot eine facettenre­iche Annäherung an das Phänomen Amerika.

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FOTO: HELMUT VOITH Die Autoren des Literaturs­chiffs 2017 – Eva Menasse, Klaus Modick und Milena Moser (von links) – im Hafen, links außen Franz Hoben vom Kulturbüro Friedrichs­hafen.

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