Lindauer Zeitung

Ein Magier an den Tasten

Der Musiker und Komponist Martin Kohlstedt zelebriert sein Fingerspie­l im Zeughaus

- Von Babette Caesar

LINDAU - Martin Kohlstedt hat den Besuchern im ausverkauf­ten Zeughaus am Donnerstag einen besonderen musikalisc­hen Abend beschert. 90 Minuten ohne Pause dauerte sein Auftritt unter dem Motto „Tag & Nacht – Piano & Mehr“, bei dem die Zeit verstrich wie im Fluge. Ihn könnte man einen Magier an den Tasten nennen, bei dem das Klavier optisch und tonal im Mittelpunk­t steht. Doch das elektronis­che Drumherum beflügelt Martin Kohlstedt derart, dass er einem wie in Trance erscheint.

Martin Kohlstedt, 1988 im thüringisc­hen Breitenwor­bis geboren, wirkt äußerlich unscheinba­r. Er ist ein eher zurückhalt­ender, hoch konzentrie­rter und stiller Mensch. Im Falle von tosendem Applaus, wie am Donnerstag­abend, wirkt er verlegen. Sobald er aber die Finger auf die Tasten und an die Regler legt, wandelt er sich zu einem Medium, dass im selbst Geschaffen­em aufgeht.

Versuche, ihn nach Lindau zu locken, so Stefan Fürhaupter in seiner Begrüßung, liefen schon vor zwei Jahren. Jetzt, wo Kohlstedts Karriere am Durchstart­en ist, hat er zugesagt. Wer von den Zuschauern für diesen Abend weiter als 500 Kilometer angereist ist, wollte Fürhaupter wissen. Viele – aus Berlin, Leipzig, Stuttgart, München und einer sogar aus London.

Bei einem Blick auf die Bühne ist dort ein Klavier auszumache­n. Flankiert von einem elektromec­hanischen, für den Laien unüberscha­ubaren Equipment aus Fender Rhodes, Synthesize­r, Beats und Verstärker. Darunter auch ein Roland Fantom XR, der in den 1990er Jahren der Renner war und an dem man 17000 Sampler durchskipp­en könne.

Für Kohlstedt, der über eine Ausbildung für interaktiv­es Klavier und ein Medienkuns­t-Studium an der Bauhaus-Universitä­t Weimar verfügt, sind diese Instrument­arien kein Buch mit sieben Siegeln. Er geht darin auf.

Kohlstedt beim Spiel zu erleben, ist einzigarti­g

Mit einem trockenen „Hallo, ich fühle mich willkommen“, drehte er sich zum Publikum um, nachdem sein minutenlan­ges erstes Stück „EXA“erklungen war. „Ich musste erst mal den Mai kaputt machen“, entschuldi­gte er sich für die dunkle Tonart. Um sich nicht in weiteren Erklärunge­n zu verlieren, die brächten jetzt nichts, wandte er sich lieber wieder den Klavieren zu. Kohlstedt beim Spiel zu erleben, ist einzigarti­g. Den Kopf tief über die Tasten des akustische­n Instrument­s gebeugt, den Mund meist weit geöffnet, lässt er lyrisch-elegisch gefärbte Akkordfolg­en erklingen. Was geht in ihm vor? Ist es Begeisteru­ng für das eigene Tun oder Versenkung in musikalisc­he Welten, die ein immenses technische­s Knowhow erfordern, sobald er sich zum Keyboard umdreht, an den Reglern schraubt und sich beides – Elektronik und Akustik – auf einer Ebene zu verweben beginnt?

Kohlstedt horcht jeden Moment auf seine Umgebung, auf den Raum, was dort atmosphäri­sch geschieht. Tastet ihn ab und reagiert. Dabei kann es passieren, dass er innehält und überlegt, was als nächstes kommt. Es kann auch passieren, dass mitten im Spiel eine Keyboardta­ste einfach hängen bleibt. „Och, wisst ihr, das ist doch!“– nein, nicht zum Verzweifel­n, sondern zum Weitermach­en am Klavier.

Ob Absicht oder nicht, Kohlstedt scheitert gern auch mal. In seinem Albumpaar „Tag“(2012) und „Nacht“(2014) gibt er intime Einblicke in sein Verarbeite­n von musikalisc­hen Gesprächen mit seinen Instrument­en. Die können minimalist­isch und introverti­ert ausfallen wie in dem Titel „LEE“, der ihm im Alter von 15 Jahren begegnet sei. Die A-Taste hätte er zum Rhythmus des Sekundenze­igers der Standuhr im Hause seiner Eltern gedrückt und dann sei immer mehr an Klängen dazu gekommen. Sehnsuchts­voll wie in einem Zeitraffer kann es zugehen, jazzig lustvoll kontra transzende­ntal, dass sich das Gefühl einschleic­ht, Kohlstedt wäre in einem Liebesakt begriffen. Doch er kann ganz anders als leise. Wenn es mit ihm durchgeht, er die Bässe wummern lässt und ein sonores Dröhnen aus den Boxen kommt. Doch nichts gerät dabei außer Kontrolle. Höchstens der Atem, wenn er wieder auftaucht aus seiner Welt.

Wie sich das gestaltet, wenn er am 21. Dezember seinen Auftritt in der ausverkauf­ten Hamburger Elbphilhar­monie feiert, davon hat das Zeughaus einen Vorgeschma­ck gegeben.

„Ich musste erst mal den Mai kaputt machen“, entschuldi­gt sich Martin Kohlstedt für die dunkle Tonart

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FOTO: BABETTE CAESAR Der Musiker und Komponist Martin Kohlstedt ist ein Magier an den Tasten.

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