Wie paralysiert
Die Ulmer Basketballer stehen nach dem 61:68 gegen Oldenburg vor dem Halbfinal-Aus
ULM - Wenn der Spruch stimmt, dass Totgesagte länger leben, und man sich einer Sache nie sicher sein kann, dann gibt es noch Hoffnung für die Ulmer Basketballer. Aber nur dann. Sie haben es ja gerade am eigenen Leib erlebt. 60:33 führten sie im zweiten Halbfinalspiel zur Halbzeit in Oldenburg, nur ein pekuniär gefestigter Ölscheich hätte da noch auf die Heimspieler gesetzt, und dann: erlebten die das größte Comeback seit Lazarus. 20 Minuten lang hat Ulm da perfekten, bestmöglichen Basketball gespielt, am Ende aber den höchsten Vorsprung in der Bundesliga-Geschichte noch verspielt. Vielleicht erklärte sich die Leistung am Samstag im dritten und vielleicht vorentscheidenden Spiel mit diesem Trauma.
Mit 61:68 (29:35) gingen die Ulmer diesmal unter, im Prinzip waren sie von Beginn an chancenlos. Gehemmt und wie paralysiert spielten sie, unzusammenhängend, rannten sich an den Oldenburgern fest, fanden keine Anspielstationen, hatten viele Ballverluste und schienen sich phasenweise nicht mal zu trauen, Dreier zu nehmen. Nur zwei Versuche hatten sie im ersten Viertel, das 10:17 zeigt, wo es krankte – in der Offensive, die aus einer Ansammlung lauter Einzelkämpfer zu bestehen schien. Nach einem Elf-Punkte-Rückstand (21:32) arbeiteten sich die Ulmer noch einmal heran zum 49:50, am Ende aber mussten sie vor den Deckungs- und Distanzwurfkünsten der Gäste kapitulieren. Maxime de Zeeuw und der mit 19 Punkten erneut überragende Rickey Paulding trafen je dreimal, „als wir endlich dran waren, haben die uns einen Stich ins Herz versetzt“, sagte Thorsten Leibenath.
Die ganze Partie muss dem Ulmer, vor den Play-offs zum BundesligaTrainer des Jahres gewählt worden, koronare Probleme bereitet haben. „Wir haben nie den Zugriff auf das Spiel gefunden, weder offensiv noch defensiv. Offensiv wirkten wir wie gelähmt, wir haben die Handbremse nicht lösen können, zu viel gezögert oder zu sehr mit der Brechstange agiert. Wir waren zu behäbig und zu passiv“, sagte der 42-Jährige, der sich die gleiche Frage stellen dürfte wie nach der vorigen Partie: Ob er den Spielern gegenüber die richtigen Worte gefunden hatte. Einmal, als die Ulmer in 3:1-Überzahl zum Korb stürmten und Augustine Rubit sich den Ball klauen ließ, verlor der Trainer die Contenance, pfefferte sein Sakko weg und schimpfte wie ein Rohrspatz. Wecken aber konnte er die Seinen mit der Tirade nicht, ebenso wenig wie mit der spontanen Einwechslung von David Krämer kurz vor der Pause. Der Youngster zeigte immerhin Willen – nahm einen Dreier, auch wenn er leicht verzog, und hechtete mit so viel Verve einem Ball hinterher, dass es ihn über die Bande wieder zu den Ulmer Reservisten verschlug.
Leibenath wusste nicht, ob das Trauerspiel der Seinen psychische oder körperliche Gründe hatte, letztlich war es auch egal, das eine beeinflusst ohnehin das andere. Taktisch allerdings muss er sich vor dem vierten Duell am Dienstag im Norden (19 Uhr) etwas einfallen lassen. Etwa, wie er seinem MVP Raymar Morgan (2 Treffer in 9 Würfen) und den Spielmachern Per Günther (2/7) und Braydon Hobbs (1/5) wieder mehr Durchschlagskraft vermitteln kann und dem Dreierspezialist Chris Babb, der diesmal nur zwei Würfe nahm (einen Treffer), die Zuversicht.
Schwethelm erwartet wütende Ulmer
Glaubt man dem Oldenburger Philipp Schwethelm, hat sein Ex-Team auch ein taktisches Problem: „Wir haben unglaublich intensiv verteidigt und damit den Schlüssel gefunden, wie Ulm zu schlagen ist. Nämlich physisch zu spielen und ihnen ihre Kreativität und die Lust am Basketball zu nehmen.“Die Ulmer hätten nach ihrer Rekordvorrunde große Erwartungen geweckt. „Diesem Druck standzuhalten, ist nicht leicht. Wir dagegen haben nichts zu verlieren. Im Vorjahr war das genau andersherum.“Damals hatte der Vorrundensiebte Ulm gegen den Zweiten Oldenburg gewonnen, dieses Mal könnte der Fünfte den Ersten schlagen.
Eines sei allerdings klar: „Ulm kann besser spielen als heute. Am Dienstag werden sie aggressiver sein und viel Wut im Bauch haben.“Nach einer Traumsaison in Lethargie zu versinken und sich auch in Jahren noch an eine dunkle Nacht in Oldenburg zu erinnern, in der man in fünf Minuten alles verspielt hat, dürfte tatsächlich nicht das Ziel der Ulmer sein.