Liebe kennt keine Liga
Fans und Spieler des TSV 1860 München nehmen die Regionalliga Bayern schnell an
MEMMINGEN - Spätestens als Sascha Mölders, einer jener Spieler, für die die Bezeichnung „Sturmtank“einst erfunden wurde, wenige Augenblicke nach dem Anpfiff im gegnerischen Strafraum einen der rotgewandeten Kicker umrempelt und die hinter dem anderen Tor versammelten Fans anfangen zu klatschen und zu singen, ist völlig egal, in welcher Liga dieses Spiel stattfindet. „Auf geht’s, Löwen, kämpfen und siegen!“, brüllen also die auffällig gut gelaunten Anhänger des TSV 1860 München, dann „Sechzig München, ein Leben lang“und schließlich: „Hurra! Hurra! Der Löwe, der ist ist da!“.
Da ist Memmingen. Da ist das wirklich schmucke, wenngleich etwas euphemistisch „Arena“benannte Stadion des lokalen FC, der die deutliche Minderheit der 5 000 Fans stellt. In der Mehrzahl, so wie wahrscheinlich auch in den folgenden Spieltagen dieser gerade begonnen Saison: Die Anhänger des TSV 1860 München. Rund 3500 der 5000 Anwesenden dürften es mit den Blauen halten, verkaufen können hätten sie in Memmingen mindestens 10 000 Karten, auf eBay wurden zuletzt Tickets für mehr als 300 Euro für das Spiel angeboten. Liebe kennt eben keine Liga.
Nach unzählbaren Irrungen und Wirrungen, noch mehr Auf- und Abbrüchen und proklamierten Neuanfängen, ist dieser Club, bei dem viele noch immer bei jeder Gelegenheit von der Deutschen Meisterschaft von 1966 schwärmen und die sich als natürliches Mitglied mindestens der Bundesliga fühlen, nun endlich in der Regionalliga Bayern gelandet.
Endlich, weil selbst das noch vor zwei Tagen nicht endgültig klar war. Erst in der Nacht zum Mittwoch hatte Geschäftsführer Markus Fauser die Insolvenz abwenden können, erst da hatte sich Investor Hasan Ismaik bereit erklärt, die Fälligkeit eines Darlehen, das er erst im Januar seinem eigenen Club aufgedrängt hatte, um ein Jahr zu stunden.
Ismaik ist nicht nach Memmingen gekommen, aber der schwerreiche Unternehmer aus Abu Dhabi war ja auch nicht bei seinen Löwen, als die vor sechs Wochen in den Relegationsspielen gegen Jahn Regensburg um den Verbleib in der Zweiten Bundesliga kämpften.
Ismaik ist nicht da, aber sonst sind sie natürlich alle, sofern sie eine Karte ergattert haben, gekommen zur ersten Station ihrer bayerischen Landpartie. Franz Hell, Roman Wöll und Fritz Fehling mit seinem Rauschebart, Freud- und Leidgenossen, die drei sogenannten „Allesfahrer“, die seit 1966 praktisch kein Spiel ihres Vereins verpasst haben; die Ladies aus dem Löwenstüberl, der Vereinskneipe am Trainingsgelände; Svend Friderici, der es seit der Zeit, als sein Solariumsteint noch als gesund galt, in jedem Stadion geschafft hat, immer in der Nähe des jeweiligen Präsidenten zu sitzen, kommt auch hier mit angemessen wehendem Adabei-Haar aus dem VIP-Bereich, „griaß-di-servus-habe-die-ehre“; und natürlich all die noch viel wichtigeren, ganz normalen, laut singenden Anhänger. Und die noch viel wichtigeren Löwen in den hellblauen Trikots, die frappierend an die Leiberl der 1966-Helden erinnern, aber eben nur sehr hübsch geratene Regionalligahemden sind. Neben Mölders ist nur Verteidiger Jan Mauersberger übrig geblieben von der letzten Zweitligamannschaft; der gebürtige Memminger und bei den Löwen ausgebildete Timo Gebhart, der ähnlich viele Irrungen und Wirrungen wie sein Lieblingsclub hinter sich hat, wurde aus Rostock zurückgeholt, ihm gelingt schließlich beim standesgemäßen 4:1 (1:0) der Löwen das Tor zum zwischenzeitlichen 3:1. Der Rest: Junge Spieler, die wirklich den Eindruck machen, dieses Trikot gerne zu tragen und die die neue Liga ebenso schnell annehmen wie die Fans. Nach einem nervösen Start gelingt Christian Köppel aus 35 Metern ein Traumtor per Bogenlampe. Der Rest der Halbzeit verläuft zwar recht zäh, doch kurz nach Wiederanpfiff macht Nico Karger mit dem 2:0 alles klar. Nach Gebharts 3:0 gelingt Memmingens Fabian Krogler noch Ergebniskosmetik, ehe Nicholas Helmbrecht in der Nachspielzeit alles klar macht.