Duell auf der Donau
Nach vier Jahren findet am Sonntag wieder das Ulmer Fischerstechen statt – Der Titelverteidiger muss aufhören
ULM - Im Rhythmus der Trommler steuern die Zillen aufeinander zu, die Speere im Anschlag. Erwartungsvolles Klatschen schallt vom bayerischen und baden-württembergischen Donauufer. An Bord stehen je vier Männer. Drei davon sind weiß gekleidet und manövrieren die Boote mit ihren Paddeln in die optimale Stellung. Aufrecht, beinahe regungslos warten auf dem Heck der Zillen die Stecher mit ihrem Speer auf den Angriff. Dann knallt es dumpf. Die Speerspitzen krachen auf die Brustkörbe. Es macht platsch. Ein Stecher liegt im Wasser. Er hat verloren. Der andere konnte sich retten und siegt. Bis zu 15 000 Zuschauer klatschen, lachen und staunen.
Nur alle vier Jahre kommt es in Ulm zu diesem knapp 500 Jahre alten Spektakel – dem traditionellen Fischerstechen. Morgen und nochmal am Sonntag darauf ist es wieder soweit. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Familie hat sich angekündigt. Der SWR und der BR übertragen sogar live, wenn sich die 15 Stecherpaare ab 15.30 Uhr gegenüberstehen. Unter ihnen wird auch der Titelverteidiger sein: Holger Beranek. Seit 1990 ist er dabei. Siebenmal hat er mitstechen dürfen, dreimal hat der Polizeihauptkommissar gewonnen. Weil der gebürtige Kemptener bald seinen 50. Geburtstag feiert, wird das diesjährige Stechen sein letztes sein. Denn mit 50 ist für einen Stecher Schluss; die Jugend soll ihre Chance bekommen.
„Es ist schade. Aber ich freue mich riesig“, sagt Beranek. Dabei dürfte der 1,90-Meter-Hüne eigentlich gar nicht stechen. Denn „die Stadtmauer“– wie man ihn nennt – ist kein „Räser“. Räse sind die Nachfahren der Fischer und Schiffsleute – quasi Ulms Ureinwohner –, die als Ulmer Schifferverein noch heute für die inhaltliche Ausgestaltung des Fischerstechens verantwortlich sind. Nur Räse und Eingeheiratete können Mitglied im Schifferverein werden und somit stechen. Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg aber wenige junge Männer generell und auch im Verein gab, wurde unter anderem bei den Schwimmern des SSV Ulm 1846 nach Ersatz fürs Stechen gesucht.
So kam beispielsweise auch Beraneks Schwiegervater zum Fischerstechen. Weil Holger Beranek jetzt aber nur zwei Töchter hat, ist eine innerfamiliäre Weitergabe nicht möglich – vor allem aus gesundheitlichen Gründen, denn die 2,80 Meter langen Speere krachen mit voller Wucht auf die Brust. Jetzt sei aber der eigene Nachwuchs des Schiffervereins wieder an der Reihe, die Tradition fortzuführen. „Für mich war es eine Ehre. Es ist das schönste Fest in Ulm“, sagt er. Noch schöner als Ulms Feiertag, der Schwörmontag samt Nabada und Schwörrede des Oberbürgermeisters, der nächste Woche ansteht.
Erste Zeugnisse von einem Fischerstechen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Junge Handwerker aus der Schifffahrt sollen ritterliche Turniere auf dem Wasser parodisiert haben. Heute symbolisieren die Stecher unter anderem Figuren aus der Ulmer Stadtgeschichte: Bauern, Narren, natürlich den Ulmer Schneider und den Ulmer Spatz, Türkenlouis und Großwesir, aber auch Mephisto und Faust sowie noch viele andere. Auch ein Überraschungspaar wird es geben, das je nach aktueller (kommunal-)politische Lage ausgewählt wird. Einmal war so sogar der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi dabei.
Die Konkurrenz schläft nicht
Als „König von Württemberg“hofft Beranek auch in diesem Jahr auf den Sieg: „Den Ehrgeiz hat man immer“, sagt er. Doch er weiß, dass die Konkurrenz nicht schläft. Beranek hat besonders Johannes Deininger alias „König von Bayern“auf dem Schirm. An ihn musste Beranek 2013 einen Tagessieg abgeben, das Finale um den Gesamtsieg entschied er jedoch für sich. Deininger, ebenfalls kein Räser, fühlt sich zwar geehrt, „an einem normalen Tag ist Beranek aber nicht zu schlagen“, sagt der in Dachau wohnhafte frühere Dachdecker.
Deiningers Opa, ebenfalls ein ehemaliger Schwimmer, von dem er das Amt des Stechers geerbt hat, wird die Duelle auf der Donau von der Tribüne aus verfolgen. Zusätzlicher Ansporn für den Enkel. Zu verkrampft dürfe er allerdings nicht sein. „Fokussiert“, mit „Spaß am Stechen“und mit einer „kleinen Kraftexplosion“will Deininger die Sache angehen. „Die „positive Energie“dafür holt er sich aus dem traditionellen Umzug des Schiffervereins am Vormittag. „Für junge Menschen mag das vielleicht nicht so toll klingen, wenn Menschen in historischer Tracht tanzen“, sagt der 28-Jährige. Ihm gebe es „ein tolles Gefühl“.
Auch einer richtigen Räserin liegt der Umzug samt den 355 Vereinsmitgliedern und drei Musikkapellen am Herzen: „Die Kämpfe sind nur die Hälfte der Tradition“, sagt Susanne Grimmeiß, Vorsitzende des Ulmer Schiffervereins. Denn noch zu Zeiten, als das Stechen in der Fastnachtszeit stattfand, wurde bei den Tänzen der spätere Gewinn für den Sieger eingesammelt. Geschenke gibt es beim Umzug zwar immer noch. Beim Stechen geht es aber überwiegend nur noch um die Ehre.