Schulz’ Angriffe perlen an Merkel ab
Kanzlerin reagiert gelassen im ARD-Interview auf den „Zukunftsplan“des SPD-Herausforderers
BERLIN - Deutschland, ruft Martin Schulz seinen Genossen im WillyBrandt-Haus zu, stehe vor „einer Richtungsentscheidung“. Ein modernes Land in einem erneuerten Europa zu werden, oder „Status quo und Rückschritt“? Der SPD-Kanzlerkandidat rackert sich ab am Rednerpult. „Mir jedenfalls ist es wichtig, dass die Bürger eine echte Wahl haben. Ich bin mir sicher, Deutschland kann mehr“, gibt sich Schulz kämpferisch. 70 Tage noch bis zur Wahl – der Merkel-Herausforderer präsentiert am Sonntag einen „Zukunftsplan“.
19 Seiten als Destillat des gerade beschlossenen Wahlprogramms der Sozialdemokraten, darin viel Bekanntes und einige markante Punkte. „Ich möchte ein Kanzler sein, der Probleme anpackt“, wird der SPDChef jetzt zumindest bei den Themen Bildung, Investitionen und Europa etwas konkreter als bisher.
Parteien schärfen Profil
Vorhang auf für die heiße Phase des Wahlkampfs: CDU, CSU und SPD schärfen ihr Profil. Nicht nur Schulz bläst zum Angriff. Angela Merkel (CDU) hat gerade eine Reise mit Auftritten an Nord- und Ostsee hinter sich, stimmt mit einem großen TVInterview auf den Countdown zum 24. September ein. In München versammelt Horst Seehofer am Sonntagabend die CSU-Führung um sich: Feinarbeit am „Bayern-Plan“, den die Christsozialen am heutigen Montag vorstellen wollen - als Ergänzung zum gemeinsamen Programm der Union. Die Frage ist nun: Kann die SPD die Trendwende trotz zweistelligen Rückstands schaffen oder verfestigt sich der Vorsprung der Union?
Ende Januar, als Schulz zum Kanzlerkandidaten nominiert war, herrschte bei der SPD Euphorie. Die ist verflogen. Dass in der letzten Woche in der Debatte um die G20-Krawalle von Geschlossenheit keine Rede sein konnte, steckt den Genossen noch tief in den Knochen. Und nun der Versuch, aus der Defensive herauszukommen. Ein „Chancenkonto“mit 20 000 Euro Startguthaben verspricht Schulz, eine nationale Allianz für Schulen, eine staatliche Investitionspflicht und ein digitales Bürgerportal für alle Verwaltungsdienstleistungen.
Ein deutsches Veto kündigt er für den Fall an, dass der neue EU-Haushalt ohne finanzielle Nachteile für Länder bleibt, die keine Flüchtlinge aufnehmen. Zukunft, Wirtschaft, Europa – von sozialer Gerechtigkeit, bisher sein großes Thema, spricht Schulz am Sonntag kaum.
Angela Merkel ist am Wochenende auf Tour in ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern. Strahlender Sonnenschein an der Küste, weiße Holzbänke, mehr als 3000 Zuschauer. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, ist Merkels Wahlkampf-Motto auf der Bühne in Zingst zu lesen. Ihr zentrales Versprechen: Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen. Die Kanzlerin habe Lust auf den Wahlkampf, heißt es aus der Union, sei „tief in allen Themen drin“, und werde es Schulz schwer machen anzugreifen. Am Sonntag im ARD-Interview reagiert Merkel gelassen auf den „Zukunftsplan“ihres Herausforderers und legt sich fest, was ihre persönlichen Planungen angeht. Sollte sie wiedergewählt werden, wolle sie bis 2021 regieren: „Ich habe deutlich gemacht, als ich wieder angetreten bin, dass ich für vier Jahre antrete“. Es gebe nur eine „bedingte Verfügungsgewalt“über das eigene Leben. „Aber ich habe die feste Absicht, das auch genauso zu machen, wie ich es den Menschen gesagt habe”.
Die Kanzlerin stellt sich im Grundsatz hinter Schulz’ Forderung nach mehr Investitionen. Das Problem liege allerdings weniger in fehlenden Mitteln als in der langen Dauer von Planungsverfahren, sagt sie: „Wir können zur Zeit das Geld, was wir haben, nicht ausgeben“. Deshalb setze die Union darauf, die Planungsverfahren zu beschleunigen. Von den Mehreinnahmen des Staates sollte mindestens ein Drittel investiert werden. „Es kann auch mehr sein“, sagt Merkel weiter. Es müsse nur verbaut werden können.
Bei der CSU in München dürfte Merkels Interview für besondere Aufmerksamkeit gesorgt haben. Eigentlich wollen CDU und CSU ja Seite an Seite kämpfen, auch wenn die Christsozialen mit ihrem „BayernPlan“eigene Akzente setzen wollen. Gut 30 Seiten sind es nun geworden, neben Mütterrente und Volksentscheide auf Bundesebene findet sich darin auch die umstrittene Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze. „Ich werde sie nicht akzeptieren“, macht Merkel im ARD-Interview klar. „Wiedervorlage in den Koalitionsverhandlungen“, heißt es in der CSU über den „Bayern-Plan“.
„Ich sage vor der Wahl, was ich vorhabe“, ruft SPD-Kanzlerkandidat Schulz am Rednerpult im WillyBrandt-Haus und schaltet auf Attacke um. Da ist er wieder, der WahlkampfVorwurf des SPD-Manns an die Adresse seiner Widersacherin: Sie entziehe sich der inhaltlichen Auseinandersetzung. Ein „Anschlag auf die Demokratie“sei das, hatte Schulz vor Wochen beim SPD-Parteitag kritisiert. Es sei „ein ausgewachsener Skandal“, wie die Kanzlerin EuropaPolitik mache, legt er jetzt nach. Sie verfahre nach dem Motto: „Wir haben große Dinge mit Europa vor, aber was ich vorhabe, das sage ich erst nach der Wahl.“Schulz’ Vorwürfe scheinen jedoch an Merkel abzuperlen. Der Herausforderer tut sich schwer mit ihrem Wahlkampf-Stil.