Aus der untersten Kaste an die Staatsspitze
NEU-DELHI (dpa) - Indiens neuer Staatspräsident wird von ganz unten im Kastensystem kommen: Beide Kandidaten bei der Wahl sind Dalits – früher „Unberührbare“genannt. Die gesellschaftliche Stellung dieser Gruppe wird dadurch im Moment aber nicht unbedingt besser.
Den Dalits in Shabbirpur ist es egal, dass Indiens nächstes Staatsoberhaupt wie sie von der niedrigsten Stufe des Kastensystems stammen wird. Die Bewohner des nordindischen Dorfes stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Spannungen mit Angehörigen der höheren Thakur-Kaste eskalierten vor einigen Wochen. Ein Thakur-Mob brannte 50 ihrer Häuser nieder und tötete einen Jugendlichen.
Angriffe auf Dalits sind keine Seltenheit. Daran wird nach Ansicht der Menschen in Shabbirpur auch ein Dalit-Staatschef nichts ändern. Indiens Parlamentarier wählen heute zwar einen neuen Staatspräsidenten, und sowohl die Regierungspartei BJP als auch die Opposition haben einen Dalit als Kandidaten aufgestellt. Allerdings: Das indische Staatsoberhaupt erfüllt vor allem repräsentative Aufgaben. Die Macht liegt beim Premierminister.
Auch wenn Indiens gesellschaftliche Hierarchie nach dem etwa 3000 Jahre alten hinduistischen Kastensystem in den vergangenen Jahrzehnten eine Lockerung erfahren hat: Den rund 200 Millionen Dalits wird weiter der Zutritt zu Tempeln oder das Trinken aus gemeinschaftlichen Brunnen verboten. Noch heute haben die meisten Dalits kein Land und üben vor allem körperliche Arbeit aus. Viele sind Müllsammler.
Es gibt aber auch Dalits, die es weit gebracht haben. Dazu gehören die zwei Präsidentschaftskandidaten: der Regierungschef des Bundesstaates Bihar, Ram Nath Kovind von der BJP, und die Kandidatin der Oppositionsparteien, Meira Kumar, eine frühere Diplomatin und Parlamentspräsidentin.
Selbstbewusst und kämpferisch
Der Nachfolger oder die Nachfolgerin des amtierenden Präsidenten Pranab Mukherjee wird von den insgesamt knapp 5000 Abgeordneten der Parlamente des Landes und der Bundesstaaten gewählt. Egal wie es ausgeht, wird Indien seinen zweiten Dalit-Präsidenten nach K.R. Narayanan, der das Amt von 1997 bis 2002 innehatte, bekommen. Für den DalitIntellektuellen Chandra Bhan Prasad ist das vergleichbar mit einem etwaigen zweiten schwarzen US-Präsidenten nach Barack Obama.
Doch für die Dalits in Shabbirpur sind die Politik in Neu-Delhi und das Großstadtleben weit weg von ihrem Alltag. Trotzdem kommt auch in dem Ort im Bundesstaat Uttar Pradesh bei den Dalits Selbstbewusstsein auf. Die jüngere Generation ist gebildet und will sich gegen die Unterdrückung wehren. „Früher durften wir höheren Kasten nicht in die Augen schauen“, erzählt der Mittzwanziger Srikanth, der in Shabbirpur einen Holzhandwerk-Betrieb hat. „Jetzt, da wir aufsteigen und uns bilden, begegnen wir ihnen auf Augenhöhe. Sie können es nicht ertragen, ihre Vorherrschaft zu verlieren.“Er fügt hinzu: „Sie müssen sich aber daran gewöhnen.“