Ein Volk feiert seinen Sieg
Polens Präsident Andrzej Duda legt ein Veto gegen den Umbau des Obersten Gerichts ein
WARSCHAU - Damit hatte am Montag kaum einer gerechnet. Polens Staatspräsident Andrzej Duda ist ein Überraschungscoup gelungen: „Ich lege mein Veto gegen das Gesetz über das Oberste Gericht und über den Landesjustizrat ein“, erklärte er frühmorgens. Millionen Polen hörten dies im Radio. Selbst in Bussen und Straßenbahnen stellten die Fahrer den Ton lauter. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht.
Dabei hatte Duda zwei Wochen Zeit, um das von der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Eiltempo durch beide Parlamentskammern gejagte Gesetzespaket zur Justizreform durchzulesen. Duda stand jedoch unter massivem Druck. Hunderttausende Demonstranten skandierten tageund nächtelang in ganz Polen: „Wir fordern ein Veto!“und „Duda, rette die Demokratie.“
Selbst der Haussegen bei den Duda-Kornhausers hing schief. Denn Dudas Schwiegervater Julian Kornhauser, ein in Polen bekannter Schriftsteller, Dichter und Literaturkritiker, forderte den Präsidenten gemeinsam mit über 300 namhaften Künstlern und Intellektuellen auf, sich an seinen Amtseid zu halten, den er auf die Verfassung geleistet hatte. „Wir waren Zeugen der Vereinnahmung des Verfassungsgerichts [durch die PiS, Anmerkung GL].“Jetzt sei man Zeuge dessen, wie verfassungswidrige Vorschriften, die die Gewaltenteilung aufheben und den Prinzipien der Demokratie widersprechen, Polen in einen autoritären Staat verwandeln. Das nenne man gemeinhin einen „Staatsstreich“.
Der Präsident möge sich daran erinnern, dass er „über die Einhaltung der Verfassung“wachen solle. Kornhauser appellierte an seinen Schwiegersohn, seine Zustimmung zum PiS-Gesetzespaket zu verweigern, so wie dies auch viele Kunstschaffende in Polen täten. Ob auch die Jurastudentin Kinga Duda ihrem Vater klar gemacht hat, dass die meisten Jurastudenten gegen die Politisierung des Richterberufes sind, ist nicht bekannt, aber durchaus möglich.
Stimmung drohte zu kippen
Umfragen zeigten schließlich, dass die Stimmung im Land zu kippen drohte: weg von der breiten Zustimmung für die PiS hin zu einer distanzierteren Haltung. Über die Hälfte aller Polen sind gegen die PiS-Justizreformen, da diese das eigentliche Problem – die lebensfernen Prozeduren – gar nicht anging. Sie zielten lediglich auf einen Elitenwechsel ab und sollten die Richter faktisch dem Justizminister und Obersten Staatsanwalt Polens, Zbigniew Ziobro, unterstellen.
Doch auch Richterbünde in eigentlich befreundeten Staaten – allen voran in Tschechien und der Slowakei – ließen kein gutes Haar am Gesetzespaket. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief bei Andrzej Duda in Warschau an, und auch das USamerikanische Außenministerium appellierte an Polens Regierungspartei und Präsidenten, die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat nicht aufzugeben. PiS-nahe Medien aber haben die friedlichen Massenproteste mit Kerzen und weißen Rosen zu „Putschversuchen“von „Schlägertrupps“erklärt, eine weltweite Verschwörung von unfähigen PolenKorrespondenten ausgemacht und mit juristischen Schritten gegen die schlimmsten „Verräter“gedroht.
Als im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, ein Oppositioneller meinte, dass die PiS es zu Lebzeiten des Ex-Präsidenten Lech Kaczynski nicht gewagt hätte, ein solches Gesetzespaket zu verabschieden, verlor dessen Bruder und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski die Nerven. Sein Ausbruch zeigt aber auch, was sich möglicherweise Andrzej Duda von Kaczynski sagen lassen muss: „Ich weiß, ihr wollt die Wahrheit nicht wissen. Aber wischt euch nicht eure Verrätermäuler am Namen meines Bruders ab – Gott hab ihn selig. Ihr habt ihn zerstört! Ihr habt ihn ermordet! Ihr seid Kanaillen!"