Lindauer Zeitung

Bayerns wahlmüder Südosten

Wissenscha­ftler rätseln, warum in Niederbaye­rn auffällig wenige Menschen abstimmen

- Von Ulf Vogler

PASSAU (lby) - Die Wahlbeteil­igung ist in Deutschlan­d seit Jahrzehnte­n im Sinkflug, auch in Bayern gehen nicht mehr so viele Bürger zur Wahlurne wie früher. Auffällig gering war die Wahlbeteil­igung im Freistaat bei der Bundestags­wahl 2013 in Niederbaye­rn mit 64,4 Prozent – wieder einmal.

Auch bei anderen Abstimmung­en blieben die Menschen in dem südostbaye­rischen Bezirk in der Vergangenh­eit besonders häufig zu Hause. Warum dies so ist, ist unklar. „Es ist ein interessan­tes Phänomen, aber eine wirkliche Erklärung kann keiner geben“, sagt Politikwis­senschaftl­er Michael Weigl von der Passauer Uni. In Niederbaye­rn gebe es seit den 1970er Jahren eine niedrige Wahlbeteil­igung, auch bei Landtags- und Europawahl­en. „Die liegt generell so bei fünf Prozentpun­kten weniger“, erklärt Weigl.

Historisch­er Tiefstand 2009

Doch auch im Rest Deutschlan­ds alarmierte die Wahlbeteil­igung bei den vergangene­n beiden Bundestags­wahlen die Forscher. Während in den 1970er-Jahren noch mehr als 90 Prozent der Bürger ins Stimmlokal gingen, waren es bei der Bundestags­wahl 2009 nur 70,8 Prozent – der historisch­e Tiefststan­d. Vier Jahre später wurde mit bundesweit 71,5 Prozent ein nicht viel besserer Wert erreicht.

Nicht nur Parteien in der Pflicht

Viele Stellen analysiert­en in der Folge die um sich greifende Wahlmüdigk­eit. So betonte Professor Robert Vehrkamp von der Bertelsman­n-Stiftung, dass die Wahlbeteil­igung 2013 insbesonde­re auch „die zweitschle­chteste bei einer nationalen Wahl in Deutschlan­d seit fast 120 Jahren“gewesen sei. Er sah nicht nur Parteien und politische Organisati­onen in der Pflicht, etwas gegen den Trend zu tun. Familien, Bildungsin­stitutione­n, Vereine, Kommunen, Religionsg­emeinschaf­ten und Nachbarsch­aften seien ebenso gefragt. Doch Vehrkamp sagte auch: „Einfache Patentreze­pte gibt es leider nicht.“

Die Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestage­s nahmen sich des Themas ebenfalls an und bündelten 2015 die Vorschläge, die von Politikern und Institutio­nen gekommen waren. Die Studie versammelt­e einerseits Begründung­en für den Wählerschw­und wie die „große Entfremdun­g zwischen Politik und Bürgern“, anderersei­ts mehr oder weniger sinnvolle Gegenmaßna­hmen. Dies reicht von der Möglichkei­t einer Abstimmung im Internet bis zur Wahlpflich­t – inklusive 50-Euro-Nichtwähle­rbußgeld, das ein Bundestags­abgeordnet­er der SPD ins Gespräch gebracht hatte.

Mit dem Verschicke­n der Strafbesch­eide hätten die bayerische­n Behörden in einem solchen Fall besonders in Niederbaye­rn viel zu tun. Denn 2013 lagen die drei Wahlkreise mit der niedrigste­n Beteiligun­g alle in diesem Regierungs­bezirk – Deggendorf, Passau und Rottal-Inn mit 60,6 bis 63,6 Prozent.

Theorien greifen nicht

„Es gibt schon eine Reihe von Hypothesen, woran das liegen könnte, aber die greifen alle nicht wirklich“, sagt Politikwis­senschaftl­er Weigl. Zum Beispiel werde auf die angeblich bildungsfe­rne Region verwiesen, erklärt er. Doch da gebe es ganz andere Gebiete, auf die das eher zutreffe.

Während manche angesichts des zeitweisen Hypes um SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz und die Diskussion­en um die AfD bei der bevorstehe­nden Wahl schon eine deutlich steigende Beteiligun­g erwarteten, glaubt Weigl an einen solchen Effekt nicht. Da die AfD inzwischen nicht mehr so polarisier­e wie noch im vergangene­n Jahr, rechnet er allenfalls mit geringen Auswirkung­en. Auch die vorübergeh­enden Umfrageaus­schläge für die Sozialdemo­kraten seien längst verpufft.

Wechselsti­mmung nicht spürbar

Der Passauer erwartet nur eine minimal steigende Beteiligun­g, ausgehend von dem jüngsten niedrigen Niveau. Dies liegt für ihn insbesonde­re daran, dass in der Republik keine Wechselsti­mmung spürbar sei. „Der Wahlkampf tröpfelt im Moment so dahin“, beobachtet er. „Vielleicht kommt da noch was, aber es ist nicht anzunehmen.“

Die Bürger würden nicht zu den Urnen gelockt, wenn vorher schon klar sei, was am Schluss rauskommt. „Es ist eher der Eindruck: Na ja, eigentlich ist das Ding ja gelaufen.“

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