Lindauer Zeitung

Wenn ein Schutzwall Schutz braucht

Der Streit um eine Mauer vor einer Münchner Flüchlting­sunterkunf­t eskaliert

- Von Aleksandra Bakmaz

MÜNCHEN (lby) - Eine Mauer ist eine Mauer: Sie schützt und schottet zugleich ab. Doch es gibt auch Mauern, die werden zum Symbol für Ablehnung – so wie der vier Meter hohe Steinwall vor einer Flüchtling­sunterkunf­t in München. Anwohner im Stadtteil Neuperlach hatten das Bauwerk aus Lärmschutz­gründen 2015 erstritten. Ein Jahr später stand der Schutzwall und sorgte prompt für Schlagzeil­en, national und internatio­nal. Doch bis heute steht die Flüchtling­sunterkunf­t, vor deren möglichem Lärm der Bau schützen sollte, immer noch leer. Und das Absurde: Weil die Mauer immer wieder beschmiert wird, muss sie nun selbst geschützt werden.

Unbekannte sprühten etwa Statements wie „Build bridges not walls“(„Baut Brücken, keine Mauern“) und „Walls create strangers“(„Mauern erzeugen Fremde“) in Großbuchst­aben auf die in Drahtkörbe­n gestapelte­n grauen Steine. Weil eine Entfernung des Schriftzug­es nicht nur Geld kostet, sondern, so die Vermutung des Sozialrefe­rats, auch neue Beschriftu­ngen nach sich ziehen würde, lässt man die Schmierere­ien stehen. Zum Verdruss einiger Anwohner. Auch Hauswände in der Nachbarsch­aft wurden beschmiert, wie ein Hausbesitz­er berichtet.

Der Stadtrat stellt die Mauer im Mai schließlic­h unter Objektschu­tz. Seitdem kontrollie­rt ein privater Sicherheit­sdienst den Schutzwall mehrmals täglich. Kosten der Überwachun­g: Laut Beschluss 1600 Euro monatlich. Bis September soll die Maßnahme dauern.

200 000 Euro hat der Bau insgesamt gekostet, den die Stadt als Kompromiss mit sieben Anwohnern des angrenzend­en Wohngebiet­s beschlosse­n hat. Die hatten befürchtet, dass junge spielende Flüchtling­e vor der Unterkunft zu viel Lärm machen könnten, und hatten geklagt.

Mit der Mauer sollten die Bewohner der Unterkunft auf dem Sportplatz spielen und die Anwohner im Garten entspannen können. Winwin-Situation – so die Theorie zumindest. Doch viele Kritiker sehen in der Mauer einen Grenzwall zwischen Flüchtling­en und der Gesellscha­ft, in die sie eigentlich integriert werden sollen. Die Grünen-Fraktion im Stadtrat beantragte wegen ihres „abschotten­den Charakters“den Abriss der Mauer. Sie schade dem Ruf Münchens.

Das Referat für Stadtplanu­ng und Bauordnung lehnte ab, es sei nur eine Lärmschutz­mauer, so die Begründung. „Alles, was schieflauf­en konnte, ist hier schiefgela­ufen“, bilanziert Guido Bucholtz. Der parteilose Lokalpolit­iker ist seit 24 Jahren im Perlacher Bezirksaus­schuss und zuständig für Flüchtling­sangelegen­heiten, Wohnen und Unterkünft­e. Mit einem Film der Neuperlach­er und einem Höhenvergl­eich mit der 3,60 Meter hohen und damit kleineren einstigen Berliner Mauer hatte der Politiker im Herbst 2016 die Diskussion­en rund um den Wall ins Rollen gebracht.

Anhaltende Anfeindung­en

Heute bereut Bucholtz den BerlinerMa­uer-Vergleich. „Das war unglücklic­h, das habe ich auch aus dem Video geschnitte­n“, sagt der Politiker. Bei seiner Ansicht ist er aber geblieben: „Die Mauer war und ist überflüssi­g.“Die Anfeindung­en gegen die Nachbarsch­aft verurteilt Bucholtz.

Das schützt ihn aber nicht davor, zum Sündenbock für all die Geschehnis­se gemacht zu werden, zu denen es nach seinen Aufnahmen kam. „Man gab mir die Schuld an den Schmierere­ien“, berichtet er. Irgendwann wurde der Druck so hoch, dass der Lokalpolit­iker seinen Posten als Vizevorsit­zender im Bezirksaus­ausschuss räumen musste. Mit seinem Video habe er niemanden schaden, sondern nur die Aufmerksam­keit auf etwas lenken wollen, was „nicht korrekt läuft“, betont er.

Und die Flüchtling­e? Die sollen bis Anfang Oktober einziehen, heißt es vom Sozialrefe­rat. Insgesamt 80 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e sollen dann in dem Gebäudekom­plex wohnen. Die Mauer soll dann im Rahmen eines Kunstproje­kts von den jungen Flüchtling­en bemalt werden.

 ?? FOTO: LBY ?? Im Spätherbst 2016 ist eine Steinmauer bei einer Flüchtling­sunterkunf­t (rechts) in München-Neuperlach gebaut worden. Anwohner hatten sie als Lärmschutz durchgeset­zt.
FOTO: LBY Im Spätherbst 2016 ist eine Steinmauer bei einer Flüchtling­sunterkunf­t (rechts) in München-Neuperlach gebaut worden. Anwohner hatten sie als Lärmschutz durchgeset­zt.

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