Gericht stellt Polizeieinsatz nach
Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung prüfen, ob Angeklagter die Polizei erkannt hat
GEORGENSGMÜND (dpa) - Bei einem Ortstermin im Prozess gegen den sogenannten Reichsbürger aus Georgensgmünd ist der damalige Einsatz am Mittwoch teilweise nachgestellt worden. Nach Angaben von Verteidigerin Susanne Koller war das Blaulicht im Haus des Angeklagten nicht zu sehen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte den Termin extra in die frühen Morgenstunden gelegt, um eine vergleichbare Lichtsituation zu haben. Vor knapp einem Jahr wurde dort bei einem Einsatz ein Polizist getötet.
GEORGENSGMÜND (dpa) - Blaulicht und Martinshorn mitten in der Nacht: Manch ein Anwohner im beschaulichen Georgensgmünd fühlt sich womöglich unangenehm zurückversetzt an den frühen Oktobermorgen vor knapp einem Jahr. Diesmal fallen jedoch keine Schüsse, niemand wird verletzt.
Im Mordprozess gegen den sogenannten Reichsbürger Wolfgang P. machen sich die Beteiligten des Verfahrens – Richter, Staatsanwalt und Verteidigung – vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth am Mittwoch um 5.30 Uhr ein Bild vom Tatort. Sie wollen eine möglichst ähnliche Lichtsituation wie bei dem tödlich endenden Polizeieinsatz haben. Sogar die Straßenlaterne links vor dem Haus ist dafür ausgeschaltet. Bei dem richtigen Einsatz war sie defekt.
Drei verschiedene Szenarien
Die zentralen Fragen beim Ortstermin: Wie gut war innen das Blaulicht am zivilen Einsatzfahrzeug zu sehen, das vor dem Haus stand? War das Martinshorn auch im Haus gut zu hören? Und konnte man die Polizisten als solche auch bei dem spärlichen Licht erkennen? Kann die Kammer also davon ausgehen, dass der 50 Jahre alte Angeklagte wusste, dass gerade die Polizei in sein Haus eindringt und nicht etwa Einbrecher? Die Vorsitzende Richterin Barbara RichterZeininger sagt später in der Verhandlung, man habe im Haus verschiedene Szenarien durchgespielt. Nummer 1: Die Lichtsituation ist so, wie von den damals beteiligten Beamten geschildert – ein bis zwei der Lampen an Waffen der Polizisten im Treppenhaus sind eingeschaltet. Nummer 2: Mehr Lampen an Waffen sind eingeschaltet, sie bewegen sich im Treppenhaus. Nummer 3: Mit den Lampen wird direkt auf die teilverglaste Wohnungstür des 50-Jährigen geleuchtet. In allen drei Szenarien habe man das Blaulicht wahrgenommen, sagt die Richterin – im dritten allerdings nur „vage“. Außerdem seien die Männer vor der Tür immer erkennbar gewesen, auch, dass sie Helme trugen und ein Polizei-Schild dabei hatten.
Wolfgang P.s Anwältin Susanne Koller dagegen berichtet: Das Blaulicht sei im Haus nicht zu sehen gewesen. Sie habe im Treppenhaus sechs Lichtquellen gezählt, sagt Koller – vor allem durch die Lampen an den Waffen der Einsatzkräfte. „Sie nehmen das Blaulicht nicht mehr wahr.“Ihrer Ansicht nach ist bei dem ganzen Lärm damals auch das Martinshorn nicht zu hören gewesen. „Das Haus hat gewackelt“, sagt Koller und bezieht sich dabei auf frühere Zeugenaussagen in dem Verfahren. Überall sei Lärm gewesen, durch Schreie, das Öffnen der Türen und zersplitterndes Glas. Da habe ihr Mandant auch die „Polizei“-Rufe der Spezialeinsatzkräfte (SEK) nicht als solche erkannt. Schon bei Prozessbeginn sagte Koller, ihr Mandant habe damals geglaubt, sich gegen Einbrecher verteidigen zu müssen.
Bei dem Einsatz am 19. Oktober 2016 hatte der 50-Jährige laut Anklage auf SEK-Beamte geschossen. Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere verletzt. Ein Rechtsmediziner von der Universität Erlangen sagt am Mittwoch, „eine realistische Chance auf eine Rettung“des schwer getroffenen Beamten habe nie bestanden. Dafür sei seine Verletzung zu schwer gewesen und die Zeit bis zur Operation zu lang.
Der Angeklagte muss sich unter anderem wegen Mord und versuchten Mordes verantworten. Die Waffen des Mannes sollten beschlagnahmt werden, weil er bei den Behörden als nicht mehr zuverlässig galt. „Reichsbürger“erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie sprechen Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.