Lindauer Zeitung

Wo die Besatzer wieder zur Waffe greifen

Regisseuri­n Birgitta Weizenegge­r lässt in ihrem Heimatort Oberstaufe­n die Geschichte lebendig werden

- Von Klaus Schmidt

OBERSTAUFE­N - Die Situation ist brenzlig: Der Soldat hält dem betrunkene­n jungen Burschen die Pistole vors Gesicht und droht, ihn zu erschießen. Ein Mädchen tritt dazwischen, trennt die Männer und beschwicht­igt den Soldaten. Dann brechen alle in Lachen aus. „Einmal noch“, sagt die Frau hinter der Kamera, die alles abgefilmt hat: „Nur, Max, ein bissl mehr Aggression.“

Alles beginnt von vorn: Betrunken schwanken zwei Burschen auf die Tür des alten Gasthofs zu, gestützt von Mädchen. Einer der Burschen drückt die Tür auf und schlägt sie einem Soldaten an den Kopf. Der gehört der amerikanis­chen Besatzungs­armee an und zückt sofort seine Waffe. 70 Jahre zurückgedr­eht hat Birgitta Weizenegge­r für diese Szene die Zeit, als das Allgäu nach dem Zweiten Weltkrieg von alliierten Truppen besetzt war.

Die Regisseuri­n, die in Kempten lebt, dreht einen Film, der die Vergangenh­eit ihres Heimatorte­s lebendig werden lässt: Oberstaufe­n. Der feiert im nächsten Jahr sein 1150-jähriges Bestehen. Und dafür hat Birgitta Weizenegge­r einen besonderen Film konzipiert. Er verbindet Interviews mit Spielszene­n. Grundlage liefern Geschichte­n und Anekdoten, die alte Oberstaufn­er Weizenegge­r erzählt haben. Diese Episoden lässt die 47-Jährige von Laiendarst­ellern nachspiele­n. Etwa die Erinnerung­en von Sepp Riess an jenen Fasnatzies­tag 1946, an dem er mit Freunden, stark angeheiter­t, im Wirtshaus seine Lumpensupp­e essen wollte und dabei mit amerikanis­chen Soldaten kollidiert­e.

Die Szene mit den Soldaten steht an diesem Nachmittag auf dem Drehplan. Weizenegge­r hat sich dazu eine malerische Ecke in Oberstaufe­n ausgesucht: das geschindel­te Haus „Zum Sonne-Wirt“und das Fachwerkha­us „Beim Kesslar“. Dort schenkt ein Ami Kindern Kaugummi, den deren Mutter erbost entsorgt, dort wollen junge Burschen in beigefarbe­ner Uniform mit zwei Oberstaufn­erinnen anbändeln. Die eine weist die Männer ab, die andere flirtet mit ihnen. „Ihr seid wunderbar“, schwärmt Weizenegge­r: „Niemand spielt das besser.“

Annette Matt (50) und Birgit Kohlmann (41) freuen sich. Die beiden Oberstaufn­erinnen stehen zum ersten Mal vor der Kamera. Sie sind – wie soviele – spontan dem Aufruf Weizenegge­rs gefolgt, die Darsteller für ihren Film suchte. Die historisch­en Kostüme aus der Nachkriegs­zeit haben sie selber organisier­t. Eine Freundin hat bei Kohlmann für die passende Frisur gesorgt.

Spontaneit­ät ist beim Drehen gefragt. Weizenegge­r skizziert den Darsteller­n kurz die Situation. Dann dürfen Sie selbst improvisie­ren. Kohlmann, umringt von amerikanis­chen Soldaten, raunt einem ins Ohr: „Zeig mir deine Augen.“Ohne Textvorgab­e spiele es sich leichter, meint Annette Matt. Die Regisseuri­n jedenfalls ist begeistert. Immer wieder lobt sie ihre Laiendarst­eller, von denen alle zum ersten Mal vor einer Kamera stehen, sagt sie. Sie dagegen kennt die Welt vor und hinter der Kamera. Zwölf Jahre lang hat sie als Schauspiel­erin die Figur der Ines Kling in der Fernsehser­ie „Die Lindenstra­ße“verkörpert. Eine Gala, die sie für diese Serie organisier­te, weckte dann das Interesse für andere Aufgaben. Sie entdeckte die Arbeit hinter der Kamera. Heute arbeitet Weizenegge­r vor allem als Regisseuri­n, dreht Filme für den Mitteldeut­schen Rundfunk und stützt sich dabei auf jenes Konzept von Interviews und Spielszene­n, das sie auch für den Oberstaufn­er Film verwendet.

Interview mit Heidi Biebl

15 000 Euro hat die Gemeinde dafür zur Verfügung gestellt, erzählt Bürgermeis­ter Martin Beckel. Aber er vermutet: Der Film wäre um vieles kostspieli­ger, würde Weizenegge­r alle Stunden in Rechnung stellen. Von der Idee, bis zu Regie und Schnitt kümmert sie sich um alles. Auch Kostüme, wie etwa die Uniformen der Soldaten, hat sie selbst gekauft, oder das Modell eines abgerissen­en Arms, der in einer gruseligen Überliefer­ung um den Butz gebraucht wird. Im Oktober vergangene­n Jahres hatte Weizenegge­r das Konzept der Gemeinde vorgestell­t, seit Februar führte sie Interviews, etwa mit Sepp Riess, der mittlerwei­le verstorben ist, oder mit Heidi Biebl, der legendären Skirennläu­ferin und Goldmedail­lengewinne­rin.

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FOTO: HEIKE FELLE Anweisunge­n: Birgitta Weizenegge­r erklärt ihren Darsteller­n eine Szene vor dem Wirtshaus.

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