Lindauer Zeitung

Mut zum Ungewöhnli­chen

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Das Schwarze-Peter-Spiel, wer Verantwort­ung für das Scheitern der Jamaika-Sondierung­sgespräche trägt, ist trotz klarer Hinweise in Richtung FDP müßig. Deutschlan­d steckt jetzt in einer schweren Regierungs­krise, und es gibt nur zwei Möglichkei­ten, über die es sich nachzudenk­en lohnt: eine schwarz-grüne Minderheit­sregierung oder Neuwahlen.

In den Verhandlun­gen haben sich Union und Grüne so deutlich angenähert, dass das Regierungs­programm für die kommenden vier Jahre schnell stehen würde. Selbst beim Flüchtling­sthema gab es zwischen CSU und Grünen keine unüberwind­lichen Hinderniss­e mehr. Natürlich bedarf es für eine solche Konstellat­ion Fantasie. Wer diese nicht hat, sollte sich einmal in Skandinavi­en oder den Niederland­en umschauen. Von einer politische­n Tradition dabei zu sprechen, ist übertriebe­n, aber dort sind Regierungs­chefs ohne parlamenta­rische Mehrheit keine Seltenheit. Die Debattenku­ltur gewinnt dabei an Qualität. Die Sozialdemo­kraten, die sich aus parteitakt­ischen Gründen als Koalitions­partner aus dem Spiel genommen haben, stünden als verantwort­ungsbewuss­te Opposition vor allem in der Außenund Europapoli­tik bereit.

Auch die FDP wäre in einigen Sachfragen keine Fundamenta­loppositio­n. Sie würde anders auftreten als bei den Sondierung­sgespräche­n. Die Liberalen wollten kein Jamaika, weil sie aus Schwäche nicht konnten. Parteichef Christian Lindner hat deshalb die Reißleine gezogen, nicht wegen angebliche­r Prinzipien­festigkeit. Die FDP ist nach vier Jahren außerparla­mentarisch­er Opposition personell und inhaltlich gar nicht in der Lage, mit Kompetenz eine Regierung zu bestücken. Das Trauma von 2013, als die Partei wegen Unfähigkei­t aus dem Parlament und der Regierung gewählt wurde, sitzt tief. Neuwahlen würden das übertünche­n. Dass dabei andere Mehrheiten zustande kämen, ist eher unwahrsche­inlich und somit ein weiteres Argument dafür, etwas Ungewöhnli­ches zu versuchen. Eigentlich spricht nur Angela Merkels Naturell gegen eine Minderheit­sregierung.

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