Merkel hält Neuwahlen für den besseren Weg
Kanzlerin sieht Minderheitsregierung skeptisch und will CDU lieber erneut in den Wahlkampf führen
BERLIN - „Danke Angela Merkel für die letzten vier Wochen“, lobt CSUChef Horst Seehofer die Bundeskanzlerin für ihre Verhandlungsführung. Es ist nach Mitternacht, die Jamaika-Sondierungen sind gerade krachend gescheitert, und der CSUChef und die CDU-Vorsitzende üben demonstrativ den Schulterschluss.
Warmer Beifall für Angela Merkel vom Sondierungsteam der Union in der Landesvertretung Baden-Württemberg. Die Vertrauten und Weggefährten scharen sich demonstrativ um die Regierungschefin, als wollten sie ihr Rückendeckung geben wie nach einer verlorenen Wahl. Sie „als Bundeskanzlerin, als geschäftsführende Bundeskanzlerin, werde alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird“, versichert Merkel und macht schnell klar, dass sie nicht einen Augenblick daran denkt, sich zurückzuziehen. Im Falle von Neuwahlen sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen und bereit, weiter Verantwortung zu übernehmen, erklärte sie am Montagabend in einem Interview.
Nicht an Rücktritt gedacht
Ein Rücktritt habe nicht im Raum gestanden. Ihre Zusicherung, das Amt der Bundeskanzlerin für volle vier Jahre zu übernehmen, sei gerade einmal zwei Monate her, sagte sie in der ARD. „Es wäre sehr komisch“, wenn sie den Wählern nun allein aufgrund der FDP-Entscheidung sage: „Das gilt nicht mehr“. Im ZDF sagte sie zudem, dass sie nach dem Ende der Jamaika-Sondierungen nicht an einen Rücktritt gedacht habe. „Nein, das stand nicht im Raum“, sagte Merkel.
Rückendeckung für Merkel gab es am Montag auch von der CDU-Spitze. Die Telefonkonferenz des Bundesvorstandes wurde zur Solidaritätsbekundung. Zusammenrücken lautet das Gebot der Stunde. Die Kanzlerin noch ohne neue Regierung – das ist eine historische Situation. Es waren die wohl schwersten Verhandlungen über eine Regierungsbildung. Zum zweiten Mal in ihrer zwölfjährigen Amtszeit scheint die Kanzlerin zu wanken.
Droht nach dem Jamaika-Aus jetzt auch Merkel zu scheitern? Einmal mehr macht bei der Opposition das Wort von der Kanzlerinnendämmerung die Rede. Schließlich ist das überraschende Ende der Sondierun- gen auch Merkels Scheitern. Die CDU-Chefin wollte das Bündnis von Union, FDP und Grünen, nachdem die SPD sich für den Weg in die Opposition entschieden hatte. Jetzt steht sie mit leeren Händen da und musste am Montag zum Krisengespräch ins Schloss Bellevue, um mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Auswegen aus der festgefahrenen Situation zu suchen. Hat Merkel einen Plan B? Kanzlerin einer Minderheitsregierung – eine Perspektive, die in der Union alles andere als attraktiv erscheint. Merkel schließt diese Option nicht gänzlich aus. Aber sie sagte in der ARD: „Ich glaube, dass dann Neuwahlen der bessere Weg wären.“Deutschland brauche stabile Verhältnisse.
Enger zusammengerückt
Merkel arbeite weiterhin „mit viel Verve für unser Land“, sagte CDUGeneralsekretär Peter Tauber. Und CDU-Vorstand Mike Mohring sieht die Bundeskanzlerin als Gewinnerin des Sondierungspokers. „Sie geht aus den Jamaika-Verhandlungen sogar gestärkt hervor“, meint er. CDU und CSU seien nach dem erbitterten Streit um die Flüchtlingspolitik jetzt wieder enger zusammengerückt. Die vergangenen Wochen hätten eine neue Nähe zwischen den Schwesternparteien und ein „Wir-Gefühl“geschaffen, heißt es aus Reihen der CSU.
Doch noch immer steht die von Merkel angekündigte gründliche Wahlanalyse aus. Dabei hatte die CDU-Chefin dies angekündigt. Merkel steht unter Druck. In der CDU rumort es, nachdem die Partei bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren und am 24. September nur noch 32,9 Prozent erreicht hatte und damit fast zehn Prozent weniger als noch vor vier Jahren, als CDU und CSU nur knapp die absolute Mehrheit verpasst hatten. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hatte die Kanzlerin unmittelbar nach der Wahl erklärt und damit Unverständnis auch in Teilen ihrer Partei ausgelöst.
Mit Spannung wird jetzt der CDU-Bundesparteitag Mitte Dezember erwartet, der eigentlich grünes Licht für eine Jamaika-Koalition geben sollte. Bereits am kommenden Sonntag trifft sich die CDU-Spitze zu einer Krisensitzung im Berliner Adenauerhaus.