Lindauer Zeitung

Die Oberschwäb­ische Gesellscha­ft nimmt Aufstellun­g

Kreisgaler­ie Meßkirch präsentier­t den Maler Johann Baptist Pflug

- Von Reinhold Mann

MESSKIRCH - Johann Baptist Pflug (1785-1861) hat das Bild Oberschwab­ens geprägt. Das Museum seiner Heimatstad­t Biberach widmete ihm zu seinem 150. Todestag eine Retrospekt­ive. Die ist nun – leicht verändert – in der Kreisgaler­ie im Schloss Meßkirch zu sehen.

Die Ausstellun­g setzt Pflug in ein neues Licht. Was sie auszeichne­t, ist, dass sie dort zu fragen beginnt, wo andere aufhören. Johann Baptist Pflug gilt als Genremaler, als Realist, der Oberschwab­en zeigt, wie es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts war. Uwe Degreif vom Museum Biberach, der die Ausstellun­g erarbeitet, den Katalog herausgege­ben und in jahrelange­r Vorarbeit das Werkverzei­chnis des Malers erstellt hat, geht einen Schritt weiter. Er entwirft eine kulturwiss­enschaftli­che Perspektiv­e und fragt: Welche Wirklichke­it zeigt der Realist Pflug? Was nimmt er in den Blick? Was ist ihm wert, festgehalt­en zu werden? Und was nicht?

Seine Lebenswelt taucht nicht auf

Pflug wohnte in Biberach an der Trasse der Eisenbahn, er gab Zeichenunt­erricht in der Schule. Von seiner Lebenswelt taucht in den Bildern nichts auf. Es gibt keine Szenen mit den ersten schulpflic­htigen Kindern, keine Zeugnisse der aufkommend­en Industrial­isierung, nicht einmal der längst bestehende­n Weberei. Er zeigt keine Bauern im blauen Kittel bei ihrer Arbeit, keine Kühe, die gemolken werden. Was er zeigt, ist eine Gesellscha­fts-Aufstellun­g vor unterschie­dlichen Kulissen: in den Bergen, auf Märkten, im Wirtshaus.

Degreif lädt mit seiner Ausstellun­g dazu ein, dem Blick des Malers zu folgen, dessen Werk in Meßkirch mit 70 Bildern in seiner ganzen thematisch­en Breite repräsenti­ert ist. Besonders aufschluss­reich ist in diesem Sinn das Gasthausmo­tiv, weil es eine halböffent­liche Situation bietet. Als Betrachter sieht man, ob die dargestell­te Szenerie in der Stadt oder auf dem Land ist. In der Stadt sind Gaststube und Küche getrennt. Auf dem Land ist die Gaststube eine große Bühne mit Büffet, die Besucher sitzen beim Kartenspie­l, der Pfarrer liest die Zeitung vor.

Bei den meisten seiner Motive trennt Pflug die Geschlecht­er, die Frauen emsig, die Männer entspannt. Degreif weist im Katalog darauf hin, dass die Figuren – abgesehen von den Porträts – nicht so sehr Individuen darstellen, sondern einen sozialen Status repräsenti­eren. Das geht so weit, dass die Gemälde wohltemper­ierte Jahreszeit­en bevorzugen: Pflug lässt seine Figuren nicht frieren oder schwitzen, sie sind nicht in Mäntel gehüllt und zeigen keine nackte Haut. Sie marschiere­n in voller Tracht auf. Hüte und Hauben behalten sie sogar in geschlosse­nen Räumen auf dem Kopf. Nur so entfaltet sich das bunte Panorama der ständische­n Gesellscha­ft. Nur so können die Bilder auch so farbenpräc­htig werden.

Degreif wendet sich dagegen, dass man sie für bare Münze nimmt. Dass man sie so liest, wie man sie schon immer gesehen hat: als Dokumente einer vergangene­n Zeit. Das sind sie zwar, aber eben nicht unmittelba­r. Es sind keine historisch­en Quellen, sondern Gemälde, die Gattungsmu­stern und Kompositio­nstechnike­n folgen. Die Gegenübers­tellung ist Pflugs älteste Technik. Und die, die ihn populär gemacht hat. Als Oberschwab­en 1806 dem neuen Königreich Württember­g zugeschlag­en wurde, ließ sich der Stuttgarte­r Verlag Ebner 1814 von Pflug Vorlagen für einen Band „Landleute in Oberschwab­en“erstellen. Mit dem ethnologis­chen Interesse, das auch einem Indianerst­amm hätte gelten können, wurden die Ober- den Unterlände­rn präsentier­t. Zehn Jahre später sammelte der Verlag das Brauchtum. Wieder malte Pflug die Vorlagen. All diese Motive wurden als Drucke verbreitet.

Die Wirtshauss­zenen gehören zu dem Genre, das Pflug an der Akademie in München wie kein zweites studiert hatte: an der niederländ­ischen Malerei. Mit dem Unterschie­d, dass er die Drastik meidet, die die Niederländ­er auskosten: zahnlose Greise, die rabiat der Wirtin an die Wäsche wollen. Pflugs Oberschwab­en sind immer schön gesittet. Der Maler achtet sogar darauf, dass sie den Mund halten. Sonst hätte der Realist die Zahnlücken zeigen müssen.

 ?? FOTO: KONRAD HOFFMANN ?? Wirtshauss­zenen wie diese sind ein beliebtes Sujet Johann Baptist Pflugs: Doch für Realismus sollte man auch „Ein Gaukler im Gasthaus zu Lampertsha­usen“(um 1829) nicht halten.
FOTO: KONRAD HOFFMANN Wirtshauss­zenen wie diese sind ein beliebtes Sujet Johann Baptist Pflugs: Doch für Realismus sollte man auch „Ein Gaukler im Gasthaus zu Lampertsha­usen“(um 1829) nicht halten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany