Flüchtlinge laden zum Kennenlernen ein
Nachbarn feiern zusammen im Lehmgrubenweg - Einige Auszubildende suchen noch „Lernpaten“
LINDAU - Im Lehmgrubenweg ist seit Kurzem jede Wohnung der neuen Flüchtlingsunterkunft bezogen. Das haben die Bewohner am Freitagabend mit Helfern und Nachbarn gefeiert. Rund 60 Menschen wohnen derzeit in den beiden Gebäuden im Gewerbegebiet. Sie wollten sich mit dem Fest unter anderem bei ihren Helfern bedanken und ihre neuen Nachbarn kennenlernen.
Musik, gutes Essen und ein volles Haus: Das Nachbarschaftsfest im Lehmgrubenweg war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. Zum Beispiel hat der Auszubildende Momtaz Alizada eine „Patin“gefunden. Das Konzept funktioniert wie folgt: Ein Pate hilft einem Geflüchteten in Ausbildung dabei, die Unterrichtstexte besser zu verstehen. „Dafür suchen wir Paten, die sich einmal die Woche mit einem Auszubildenden treffen“, sagt Renate Twardy-Allweil vom Helferkreis „Offene Türen“. Laut Twardy-Allweil kommen die Berufsschullehrer an ihre Grenzen. Hilfe brauchen daher rund 30 Flüchtlinge, die beispielsweise eine Ausbildung zum Maler, Koch, Maschinenbauer oder Bürokaufmann machen. Das Nachbarschaftsfest sei ein wunderbarer Anknüpfungspunkt.
Ein Lernteam hat sich gefunden
Ein gutes Miteinander der Hausbewohner mit ihren Nachbarn wünscht sich auch Gaby Zobel, Mitarbeiterin des Landratamts. Sie hat das Fest zusammen mit den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Äthiopien und Somalia organisiert. „Zuerst sollte es nur Kleinigkeiten zu essen geben, aber die Bewohner wollten ihre Gäste verwöhnen.“Laut Zobel kochen sie bereits seit drei Tagen ihre Gerichte. Damit wollen sie Danke für die Unterstützung sagen und erste Kontakte zu neuen Nachbarn knüpfen. Einer dieser Nachbarn ist Julian Schindle. Er arbeitet bei einer Firma in der Nähe und ist zusammen mit Frau und Kindern gekommen. „Die Gastfreundschaft hier finde ich wunderbar.“Das Essen sei super lecker, eine besondere „kulinarische Erfahrung“. Karsten Becke arbeitet ebenfalls in der Nähe. Ihm ist sofort aufgefallen, dass der Sänger Arash Nazari aus Afghanistan bestimmt kein Laie ist: „Klassische arabische Musik interessiert mich, und das war wirklich gut.“
Vor fast einem Jahr sind die ersten Bewohner in den Lehmgrubenweg gezogen. Ende Dezember hatte es in der Unterkunft in der Freihofstraße gebrannt. Das Haus war danach nicht mehr bewohnbar gewesen. Das Landratsamt musste innerhalb kürzester Zeiteine neue Unterkunft finden. Auch Salam Mornekuennt ist damals mit ihren kleinen Kindern Betty und Nati in den Lehmgruben- weg gezogen. Sie freut sich über die Kleinkindbetreuung „Rockzipfel“, die im Haus eingerichtet wurde. Viele junge Eltern wohnen im Haus. Für Salam und die anderen bedeutet die Betreuung, dass sie Zeit finden, um beispielsweise Deutsch zu lernen.
Der angehende Bürokaufmann Momtaz Alizada freut sich nicht nur über die unterschiedlichen Kulturen, die hier zusammen gekommen sind. Sondern auch über seine Lernpatin, die er an diesem Abend kennengelernt hat: Ulrike Derfert. Die Engagierte unterrichtet bereits drei Mal die Woche Flüchtlinge in Lindau und Weißensberg in Deutsch. Sie habe mitbekommen, dass Flüchtlinge keine Bleibeerlaubnis bekommen haben, obwohl sie eine Ausbildung gemacht hatten. „Das hat mich sehr geärgert, und ich bin deshalb jetzt dazu bereit, für einen jungen Menschen Verantwortung zu übernehmen“, erzählt Derfert. Es sei wichtig, dass die Jugendlichen nicht nur eine Ausbildung machen können, sondern auch Berufserfahrung sammeln, um später ihr Land wieder aufbauen zu können.