In Japan fahren die Züge anders
Die Spezies des Pendlers ist in Deutschland eine besonders leidgeprüfte, weil sie es oft genug mit der Deutschen Bahn zu tun hat, welche sich bei der Beförderung von Menschen einer Lässigkeit bedient, die sonst eigentlich Südländern nachgesagt wird. Sich nicht hetzen lassen, mal einen Espresso mehr trinken, zwischen Mittagessen und Abendmahl Siesta halten – natürlich ist es keine unkluge Strategie, mediterrane Lebensart als Mittel der Kundenbindung zu propagieren.
Die Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn offenbart schließlich jede Menge gute Gelegenheiten für den einen oder anderen Espresso mehr, mitunter auch die ausgedehnte Siesta oder beim Verpassen von Anschlusszügen sogar einen vollständigen Nachtschlaf, weil der nächste Zug erst wieder am folgenden Morgen Beförderung ans Ziel verspricht.
In Japan, wo die Menschen noch deutscher sind als in Deutschland – zumindest was die Pünktlichkeit angeht – hat die planmäßige Abfahrt von Zügen eine wesentlich schwerwiegendere Bedeutung als bei uns. Sie geht sogar so weit, dass sich die japanische Bahn entschuldigt, wenn ihre Züge zu früh abfahren. Eben erst ist der Tsukuba-Express in Tokio 20 Sekunden vor der offiziellen Abfahrtszeit abgefahren. Die Eisenbahngesellschaft hat öffentlich vielmals „zutiefst“für die „schweren Unannehmlichkeiten“um Verzeihung gebeten. Was für ein trauriges Zeichen von Unentspanntheit. Sind wir also froh, dass uns die Bahn in Deutschland ab und zu noch ein Zeitfenster für einen Espresso lässt oder eine kleine Siesta. (nyf)